Die Menschheit als geologische Kraft
Redaktion
/ Pressemitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung astronews.com
20. Januar 2016
Die Menschheit ist zu einer geologischen Kraft geworden:
Durch den von ihr verursachten Anstieg des Kohlendioxidgehalts könnte sich die
nächste Eiszeit um bis zu 100.000 Jahre verschieben. Wissenschaftler glauben
nämlich, dass es ihnen gelungen ist, das Rätsel um das Auftreten der letzten
Eiszeitzyklen zu lösen. So wurde die neue Vorhersage möglich.
Die Erde: Klimaforscher sind sich sicher,
dass die Menschheit inzwischen zu einer
geologischen Kraft geworden ist, die globale
Abläufe nachhaltig verändern kann.
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Der Mensch ist zu einer geologischen Kraft geworden, die den Beginn der
nächsten Eiszeit unterdrücken kann – das zeigt eine jetzt vorgestellte Studie
von Wissenschaftlern des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Darin wird
beschrieben, wie es gelungen ist, den Code der Eiszeiten zu knacken: Der
Schlüssel zur Erklärung der letzten acht Eiszeitzyklen liegt nämlich offenbar im
Verhältnis von Sonneneinstrahlung auf die Erde und der Kohlendioxidkonzentration
in der Atmosphäre.
Gleichzeitig macht die Studie deutlich, dass schon eine moderate Störung des
natürlichen Kohlenstoffhaushalts des Planeten durch den Menschen die nächste
Eiszeit um 100.000 Jahre verschieben könnte. "Auch ohne den menschengemachten
Klimawandel würden wir den Beginn einer neuen Eiszeit erst in etwa 50.000 Jahren
erwarten – das macht das Holozän als gegenwärtige Epoche bereits zu einer
ungewöhnlich langen Phase zwischen zwei Eiszeiten", erklärt Andrey Ganopolski.
"Unsere Studie zeigt jedoch auch, dass bereits relativ moderate zusätzliche
Kohlendioxid-Emissionen aus der Verbrennung von Öl, Kohle und Gas ausreichen, um
die nächste Eiszeit um weitere 50.000 Jahre zu verzögern. Unter dem Strich
bedeutet dies, dass wir einen kompletten Eiszeitzyklus überspringen, was
beispiellos ist. Es ist wirklich verblüffend: Der Mensch ist in der Lage, einen
der fundamentalen Mechanismen zu stören, die die Welt geformt haben, wie wir sie
heute kennen," so der Klimaforscher.
Erstmals kann die Wissenschaft den Beginn der letzten Eiszeiten durch die
Bestimmung von Schlüsselfaktoren erklären, die dem Beginn einer neuen Eiszeit
vorangehen. "Unsere Ergebnisse lassen eine funktionale Beziehung zwischen der
Sonneneinstrahlung im Sommer und atmosphärischem Kohlendioxid erkennen, die den
Beginn einer neuen Eiszeit kennzeichnet. So lässt sich nicht nur die
Vergangenheit erklären, es ermöglicht uns auch künftige Perioden abzusehen, in
denen ein neuer Eiszeitzyklus einsetzen kann", erklärt Ganopolski.
Mit einem ausgeklügelten Computermodell des Erdsystems, in dem die Dynamik
von Atmosphäre, Ozean, Eisschilden und der globale Kohlenstoffzyklus simuliert
werden, haben die Wissenschaftler den Effekt menschgemachter
Kohlendioxid-Emissionen auf das Eisvolumen der Nordhalbkugel untersucht. "Weil
Kohlendioxid in der Atmosphäre extrem langlebig ist, haben vergangene wie
künftige Emissionen großen Einfluss darauf, wann ein neuer Eiszeitzyklus
beginnt", erläutert Teammitglied Ricarda Winkelmann. "Unsere Analyse zeigt, dass
schon geringe zusätzliche Kohlenstoff-Emissionen die Entwicklung der
Eisbedeckung auf der Nordhalbkugel wohl auf zehntausende Jahre beeinflussen
würde, während künftige Kohlendioxid-Emissionen von 1.000 oder 1.500 Gigatonnen
Kohlenstoff die nächste Eiszeit um mindestens 100.000 Jahre verschieben
könnten."
Die Suche nach den Ursachen von Eiszeitzyklen gehört zu den faszinierendsten
Fragen der Erdsystemanalyse und der Paläo-Klimatologie, der Wissenschaft von
Klimaveränderungen in der gesamten Geschichte des Planeten. Für gewöhnlich
markiert eine Periode geringer Sommer-Sonneneinstrahlung den Beginn einer neuen
Eiszeit; Bedingungen wie wir sie derzeit vorfinden.
Allerdings gibt es derzeit keine Hinweise auf den Beginn einer neuen Eiszeit:
"Das war die Motivation für diese Studie. Das Rätsel zu lösen, welche
Mechanismen die vergangenen Eiszeitzyklen angetrieben haben, ermöglicht uns
auch, den Anfang eines neuen Eiszeitalters abzusehen", so Winkelmann.
"Wie keine andere Kraft auf dem Planeten haben Eiszeiten unsere globale
Umwelt geformt und damit auch die Entwicklung der menschlichen Zivilisation
bestimmt. Wir verdanken unter anderem unsere fruchtbaren Böden der letzten
Eiszeit; sie hat auch unsere heutige Landschaft gestaltet durch Gletscher und
Flüsse, Fjorde, Moränen und Seen, die aus ihr entstanden sind. Heute ist es
jedoch die Menschheit mit ihren Emissionen aus fossilen Brennstoffen, die die
zukünftige Entwicklung des Planeten bestimmt", unterstreicht Teammitglied Hans
Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts. "Das zeigt sehr deutlich,
dass wir schon längst in eine neue Ära eingetreten sind, und dass die Menschheit
im Anthropozän selbst zur geologischen Kraft geworden ist. Tatsächlich führt das
vielleicht eine Epoche herbei, die mit dem Begriff Deglazial überschrieben
werden könnte."
Über ihre Ergebnisse berichtet das Team in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift Nature erschienen ist.
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