Die ersten großen Galaxien im Visier
von Stefan Deiters astronews.com
18. November 2015
Wann gab es im Universum die ersten massereichen Galaxien?
Um diese Frage zu beantworten, müssen Astronomen weit entfernte und oft relativ
lichtschwache Systeme aufspüren. Mithilfe des ESO-Teleskops VISTA entdeckten
Forscher nun eine große Zahl bislang unbekannter Galaxien. Sie ermöglichen eine
erste Abschätzung, wann solche Systeme erstmals auftauchten.
Einige der jetzt im Bereich der UltraVISTA-Durchmusterung
entdeckten massereichen Galaxien.
Bild: ESO / UltraVISTA Team / TERAPIX / CNRS
/ INSU / CASU [Großansicht] |
Es kann manchmal sehr erhellend sein, einen bestimmten Himmelsbereich über
einen sehr langen Zeitraum zu beobachten. Mit einer immer größeren
Beobachtungszeit werden nämlich auch immer mehr Galaxien sichtbar, und die genaue Anzahl
von Galaxien in einer Region hilft den Wissenschaftlern, aktuelle Theorien über die Entstehung
und Entwicklung dieser Objekte im Verlauf der Geschichte des Universums zu
überprüfen.
Allerdings ist die Entdeckung von Galaxien in großer Entfernung keine leichte
Aufgabe: Die hellsten von ihnen sind vergleichsweise selten und die weniger
hellen und masseärmeren Objekte lassen sich nur sehr schwer entdecken.
Im Rahmen der Himmelsdurchmusterung UltraVISTA wird mit dem Visible and
Infrared Survey Telescope for Astronomy (VISTA) der europäischen
Südsternwarte ESO auf dem Gipfel des Paranal in Chile seit Dezember 2009 immer
wieder ein Bereich des Himmels anvisiert, der etwa den vierfachen Durchmesser
des Vollmonds hat. Es handelt sich um die umfassendste und tiefste
Durchmusterung dieser Art im Infraroten.
Astronomen um Karina Caputi vom Kapteyn Astronomical Institute der
Universität in Groningen haben die Daten von UltraVISTA genutzt, um darin nach
lichtschwachen Galaxien zu suchen, die existiert haben müssen, als unser
Universum gerade einmal 0,75 bis 2,1 Milliarden Jahre alt war. Die UltraVISTA-Beobachtungen
wurden von den Forschern dazu mit Aufnahmen des NASA-Infrarotweltraumteleskops
Spitzer kombiniert.
"Wir haben 574 bislang unbekannte massereiche Galaxien entdeckt - die größte
Auswahl von solchen versteckten Galaxien im Universum, die bislang
zusammengestellt worden ist", so Caputi. "Das Studium dieser Galaxien erlaubt
uns die Beantwortung einer einfachen aber wichtigen Frage: Ab wann gab es die
ersten massereichen Galaxien?" Als massereich gilt eine Galaxie in diesem
Zusammenhang ab einer
Gesamtmasse von etwa der 50-milliardenfachen Masse unserer Sonne.
Durch die Beobachtung im Nahinfrarot werden auch sehr weit entfernte
Objekte sichtbar, deren Strahlung durch die Expansion des Universums ins Rote
verschoben wurde. Außerdem lassen sich auch Systeme entdecken, die hinter
Staubwolken verborgen sind.
Die Forscher stellten fest, dass die Anzahl der Galaxien innerhalb eines sehr
kurzen Zeitraums sehr schnell angestiegen sein muss. Ein großer Teil der massereichen
Galaxien in unserer heutigen Umgebung dürfte auch bereits drei Milliarden
Jahre nach dem Urknall existiert haben.
"Wir haben keine Hinweise darauf gefunden, dass es massereiche Galaxien
früher als etwa eine Milliarde Jahre nach dem Urknall gab", so Henry Joy
McCracken vom Institut d'Astrophysique de Paris. "Wir glauben also, dass es sich
hier um den Zeitpunkt handeln muss, ab dem sich die ersten massereichen Galaxien
gebildet haben."
Die Wissenschaftler stellten zudem fest, dass es offenbar damals deutlich
mehr massereiche Galaxien gab, als bislang gedacht. So machen die jetzt neu
entdeckten Systeme die Hälfte aller massereichen Galaxien in einem Zeitfenster
von 1,1 bis 1,5 Milliarden Jahren nach dem Urknall aus. Dies widerspricht
allerdings in gewisser Weise aktuellen Theorien über die Entstehung und
Entwicklung von Galaxien, die eine so große Zahl von massereichen Galaxien in
dieser Zeit nicht vorhersagen.
Und es gibt eine weitere Komplikation: Sollten die massereichen Galaxien in
der Frühzeit des Universums auch deutlich staubhaltiger sein, als die Theorien
vorhersagen, wären sie auch mithilfe von UltraVISTA nicht mehr zu entdecken.
Beobachtungen mit dem Radioteleskopverbund ALMA könnten bei der Klärung dieser
Frage helfen. Sollte es tatsächlich noch mehr staubige Galaxien in dieser Epoche
gegeben haben, müsste man auch die Theorie über die Entstehung von Galaxien
in der damaligen Zeit überdenken.
Über ihre Beobachtungen berichten die Astronomen in einem Fachartikel, der in
der Zeitschrift The Astrophysical Journal erschienen ist.
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