Die Entwicklung des Universums im Computer
Redaktion
/ Pressemitteilung des Exzellenzclusters Universe / TUM astronews.com
21. Oktober 2015
Münchener Astrophysiker haben die weltweit aufwendigste
kosmologische Simulation der Entwicklung unseres Universums vorgestellt. Die
Modellrechnung verfolgt über Milliarden von Jahren die Geschehnisse in einem
Raumbereich von 12,5 Milliarden Lichtjahren und ist damit groß genug, um sie
direkt mit entsprechenden Beobachtungen unseres Universums
vergleichen zu können.
Ausschnitt aus der "Magneticum
Pathfinder"-Simulation: Zoom in die Details der
großräumigen Verteilung der sichtbaren Materie im
Universum (der linke Streifen zeigt vertikal
einen Bereich von 12,5 Mrd. Lichtjahren).
Bild: Klaus Dolag/LMU, www.magneticum.org [Großansicht] |
Der Urknall markiert in der modernen Kosmologie den Beginn unseres Universums
und leitet die gemeinsame Entstehung von Materie, Raum und Zeit vor rund 13,8
Milliarden Jahren ein. Seither haben sich die heute sichtbaren Strukturen des
Kosmos entwickelt: Milliarden von Galaxien, in denen Gas, Staub, Sterne und
Planeten durch die Schwerkraft gebunden sind und in deren Zentren
supermassereiche Schwarze Löcher sitzen.
Wie aber konnten sich diese - sichtbaren - Strukturen aus den Startbedingungen
des Universums formen? Um diese Frage zu beantworten, führen theoretische
Astrophysiker kosmologische Simulationen durch. Dazu bündeln sie ihr Wissen über
die physikalischen Entwicklungsprozesse unseres Universums in mathematischen
Modellen und bilden so auf Hochleistungsrechnern die Evolution unseres
Universums über Milliarden von Jahren nach.
Ein Team von theoretischen Astrophysikern der Ludwig-Maximilians-Universität
München (LMU) unter Leitung von Klaus Dolag hat nun innerhalb des Projekts
Magneticum Pathfinder eine neue, weltweit einzigartige hydrodynamische
Simulation der großräumigen Verteilung der sichtbaren Materie unseres Universums
durchgeführt. In ihr sind die aktuellen Erkenntnisse der Kosmologie über die
drei kosmischen Bestandteile des Universums - die Dunkle Energie, die Dunkle
Materie und die sichtbare Materie - eingeflossen.
Dabei haben die Wissenschaftler in ihren Berechnungen eine Vielzahl von
physikalischen Prozessen berücksichtigt, darunter drei, die als besonders
wichtig für die Entwicklung des sichtbaren Universums gelten: die Kondensation
von Materie zu Sternen, deren weitere Entwicklung, bei der durch Sternwinde und
Sternexplosionen die umgebende Materie aufgeheizt und mit chemischen Elementen
angereichert wird, sowie die Entwicklung von supermassereichen Schwarzen
Löchern, die gewaltige Mengen an Energie abgeben.
Insgesamt umfasst diese Simulation den Raumbereich eines Würfels mit
Kantenlängen von 12,5 Milliarden Lichtjahren. Dieser unvorstellbar große und in
einer Simulation bisher nicht erreichte Ausschnitt des Universums wurde am
Computer in eine bis dahin nicht erreichte Anzahl von 180 Milliarden
Auflösungselementen aufgeteilt, von denen jedes einzelne die detaillierten
Eigenschaften des Universums an dieser Stelle repräsentiert und ungefähr 500
Byte an Informationen enthält.
Diese zahlreichen Merkmale machen es erstmals möglich, eine kosmologische
Simulation detailliert mit umfangreichen astronomischen Vermessungen unseres
Universums zu vergleichen. "Das war bislang kaum möglich, weil anspruchsvolle
kosmologische Simulationen viel zu klein waren, um sie Beobachtungen von
Weltraumteleskopen wie Hubble oder Planck gegenüberzustellen, die große Teile
unseres sichtbaren Universums durchmustern und abbilden", sagt Dolag. "Magneticum
Pathfinder markiert daher den Beginn einer neuen Ära in der
computergestützten Kosmologie."
Diesem Erfolg gingen rund zehnjährige Forschungs- und Entwicklungsarbeiten
voraus, die von den Experten des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ) der Bayerischen
Akademie der Wissenschaften begleitet wurden, einem der leistungsfähigsten
wissenschaftlichen Rechenzentren Europas. "Eine der größten Herausforderungen
bei einem so komplexen Problem ist es, den Simulations-Code zu optimieren und
gleichzeitig die astrophysikalische Modellierung voranzutreiben", erklärt Dolag.
"Während der Code permanent an sich ändernde Technologien und neue Hardware
angepasst werden muss, müssen die zugrunde liegenden Modelle verbessert und
bessere oder zusätzliche Beschreibungen derjenigen physikalischen Prozessen
eingebaut werden, die unser sichtbares Universum geformt haben."
Die konkrete Realisierung dieser größten Simulation innerhalb des Magneticum
Pathfinder Projekts dauerte zwei Jahre. Dabei wurde die
Wissenschaftlergruppe um Dolag zusätzlich von Physikern des Rechenzentrums C2PAP
unterstützt, das vom Exzellenzcluster Universe betrieben wird und am
LRZ angesiedelt ist. Im Rahmen von mehreren einwöchigen Workshops bekam das
Magneticum Pathfinder-Team in den vergangenen Jahren die Gelegenheit, den
gesamten Höchstleistungsrechner SuperMUC des LRZ zu nutzen. "Ich kenne kein
Rechenzentrum, das mir den gesamten Rechner für so lange Zeit zur Verfügung
gestellt hätte", so Dolag.
Insgesamt beanspruchte die Magneticum Pathfinder-Simulation alle 86.016
Rechenkerne sowie den kompletten für Anwender nutzbaren Hauptspeicher - 155 von
insgesamt 194 Terabyte - der kürzlich in Betrieb genommenen Ausbaustufe "Phase
2" des SuperMUC. Die gesamte Simulationsrechnung benötigte insgesamt 25
Millionen CPU-Stunden und erzeugte 320 Terabyte an wissenschaftlichen Daten.
Diese Daten stehen nun weltweit interessierten Wissenschaftlern zur Verfügung.
Die Münchner Astrophysiker sind bereits mit weitergehenden Projekten
beschäftigt: Unter anderem arbeitet Dolag derzeit mit einem Wissenschaftlerteam
der Planck-Kollaboration zusammen, um Beobachtungen des Planck-Satelliten
mit den Berechnungen von Magneticum Pathfinder zu vergleichen.
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