Liegend das Leben im All simulieren
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
9. Juli 2015
Ein längerer Aufenthalt im All und die damit verbundene
Schwerelosigkeit bedeutet für den Körper eines Astronauten einiges an
Veränderungen. Dies kann auch zu Beeinträchtigungen, etwa beim Sehen führen.
Beim DLR in Köln will man mithilfe einer Studie jetzt hinter die Ursache dieses
Astronautenproblems kommen. Dazu müssen die Probanden vor allem eines: im Bett liegen.
Mit einem nicht-invasiven Hirndruckmesser
wird während der Studie "SpaceCOT" im DLR die
Blutflussgeschwindigkeit und der Hirndruck
ermittelt.
Foto: DLR [Großansicht] |
28 Stunden lang müssen die sechs Probanden liegen bleiben, den Kopf zwölf
Grad niedriger als die Beine. Zeitweise leben und schlafen sie in
kohlendioxidangereicherter Umgebungsluft. Mit der Studie "SpaceCOT" untersuchen
Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und das
amerikanische National Space Biomedical Research Institute (NSBRI)
derzeit, wie sich die Verschiebung der Körperflüssigkeiten zum Kopf hin sowie
der erhöhte Kohlendioxidgehalt in der Luft auf das menschliche Gehirn und die
Augen auswirken.
Beides könnte dafür verantwortlich sein, dass bei rund 70 Prozent der
Astronauten während und nach mehrmonatigen Langzeitmissionen
Sehbeeinträchtigungen auftreten. Die DLR-Forschungseinrichtung :envihab wird
dabei zur irdischen Raumstation, in der die Bedingungen, unter denen Astronauten
in der ISS forschen und leben, simuliert werden.
Auch wenn sich die Schwerkraft auf der Erde nicht ausschalten lässt - auf die
Kopftieflage reagiert der Körper mit einer Verlagerung der Flüssigkeiten in
Richtung Oberkörper und Kopf. Dies ist vergleichbar mit einem Aufenthalt in der
Schwerelosigkeit, wenn wegen der fehlenden Schwerkraft sich das Blut nicht mehr
in der unteren Körperhälfte ansammelt. Im :envihab wird zudem kontrolliert eine
Atmosphäre geschaffen, die der kohlendioxidreichen Umgebungsluft in der
Internationalen Raumstation ähnelt. Auf der Erde liegt der Kohlendioxidgehalt
bei 0,04 Prozent, auf der ISS ist er um das 20-fache erhöht.
Bei Astronauten, die diesen Bedingungen über längere Zeit ausgesetzt sind,
wurden unter anderem eine Veränderung der Sehschärfe im Nahbereich,
Veränderungen der Faserschichten der Netzhaut und ein Anschwellen der mit
Flüssigkeit gefüllten Kammer rund um den Sehnerv festgestellt. "Die
Beeinträchtigung des Sehvermögens bei Astronauten könnte durch einen erhöhten
Druck im Schädel entstehen, das Kohlendioxid erweitert zudem die Blutgefäße und
könnte einen Anstieg des Drucks auf das Gehirn bewirken", erläutert
DLR-Mediziner Dr. Edwin Mulder, der die Studie im :envihab für das NSBRI
umsetzt.
Um besser verstehen zu können, wie sich Flüssigkeiten im Gehirn und den Augen
bewegen und verteilen, werden sechs männliche Probanden im Alter zwischen 33 und
47 Jahren für 28 Stunden in einer Kopftieflage mal der irdischen Umgebungsluft
und mal einer Atmosphäre mit 0,5 Prozent Kohlendioxid-Gehalt ausgesetzt. Über
zwei Stunden wird der Anteil des Kohlendioxids zudem über eine Atemmaske auf
drei Prozent erhöht.
Während der Liegephase müssen die Probanden strikte Vorgaben beachten: Sitzen
oder Stehen ist verboten, stattdessen muss die gesamte Zeit liegend - mit
mindestens einer Schulter an der Matratze - verbracht werden. Um Einflüsse durch
unterschiedliche Ernährung auszuschließen, erhalten alle Probanden eine
kontrollierte, einheitliche Diät.
Die neurologischen Veränderungen erfassen die Wissenschaftler mit zahlreichen
Messungen. "Das Problem der Sehstörungen ist ein großes Risiko, das verringert
werden muss, bevor wir Astronauten auf Langzeitmissionen schicken können", sagt
NSBRI-Direktor Dr. Jeffrey P. Sutton. Zu den Untersuchungen gehören die
Nahinfrarot-Spektroskopie sowie Messungen mit dem C-Flow-Monitor, um den
Blutfluss im Gehirn zu messen.
Mit der Volumetrischen integralen Phasenverschiebungsspektroskopie können
Veränderungen des Flüssigkeitsvolumens im Schädel erfasst werden. Anhand von
Magnetresonanz-Bilder werden unter anderem der Durchmesser des optischen Nervs,
die Form des Auges, das Volumen des Gehirns oder auch Gefäßdurchmesser
festgestellt. Ein spezielles Mess-System ermittelt den Hirndruck über die
Messung der Blutflussgeschwindigkeit.
Mittels "Riech-Tests" wird untersucht, wie sich die Wahrnehmung von Gerüchen
verändert, Kognitionstests stellen beispielsweise die sensomotorische
Geschwindigkeit, die räumliche Orientierung, das Erkennen von Emotionen oder
auch das Arbeitsgedächtnis auf die Probe. Selbst das im All übliche "Puffy face"
- das aufgedunsene Gesicht - wird durch Ultraschallmessungen des Stirngewebes
erfasst.
Versteht man die Vorgänge im menschlichen Gehirn besser, profitieren nicht
nur Astronauten von der Studie "SpaceCOT": Auch Patienten, die beispielsweise
nach Hirnverletzungen an einem erhöhten Druck im Schädel leiden, könnten
schonender und gezielter behandelt werden.
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