Auf der Spur der starken Kernkraft
Redaktion
/ idw / Pressemitteilung der Universität Mainz astronews.com
24. Juni 2015
Atomkerne werden durch die starke Kraft zusammengehalten.
Durch die Untersuchung sogenannter Hyperkerne wollen Physiker mehr über diese
Kraft lernen. Dabei könnten sie auch etwas über den Aufbau von Neutronensternen
erfahren, einem exotischen Endprodukt der Sternentwicklung. Jetzt gelang es, die
Masse eines Hyperkerns sehr genau zu bestimmen.
Wie Neutronensterne in ihrem Inneren aussehen
(hier eine künstlerische Darstellung eines
Neutronensterns während eines Ausbruchs) weiß man
noch nicht. Die Untersuchung von sogenannten
Hyperkernen könnte aber neue Informationen
liefern.
Bild: NASA GSFC [Großansicht] |
Einer internationalen Gruppe Physikern ist es am Mainzer Institut für Kernphysik
gelungen, die Masse eines "seltsamen" Atomkerns mit einer neuartigen Messmethode
zu bestimmen, die eine wesentlich größere Genauigkeit als bisherige Methoden
aufweist. Am Teilchenbeschleuniger MAMI ließ sich der radioaktive Zerfall von
künstlich erzeugten, überschweren Wasserstoff-Atomkernen weltweit zum ersten Mal
mit einer Kombination mehrerer magnetischer Spektrometer beobachten. Über das
genaue Vermessen der Zerfallsprodukte konnte die Masse präzise ermittelt werden.
Solche Messungen sind besonders hilfreich für das Verständnis der "starken
Kraft", welche die Atomkerne zusammenhält und so verantwortlich ist für die
Beständigkeit der Materie. Auch nach Jahrzehnten der Forschung sind viele
grundsätzliche Details dieser Kraft noch nicht verstanden. Atomkerne der uns
alltäglich umgebenden Materie bestehen aus zwei Bausteinen, den positiv
geladenen Protonen und den elektrisch neutralen Neutronen.
Diese wirken auf vielfältige Weise miteinander und untereinander. Hauptsächlich
herrscht zwischen ihnen eine ungeheure Anziehungskraft, die für die Bindung der
Bausteine zu Atomkernen verantwortlich ist. Die Masse des Atomkerns ist dabei
geringer als die Summe der Masse seiner Bestandteile. Die "fehlende Masse"
steckt nach Einsteins berühmter Formel E = mc2 in der Energie der
Bindungen im Atomkern. Wird die Masse präzise vermessen, lässt sich also die
Bindungsenergie bestimmen, und es lassen sich Rückschlüsse auf die Natur der
starken Kraft ziehen.
Neben den Protonen und Neutronen können
prinzipiell auch andere verwandte Teilchen in einem Atomkern gebunden sein, etwa
ein sogenanntes Hyperon, das auch als "seltsames" Neutron bekannt ist. Einen
solchen Atomkern nennt man dann einen seltsamen Atomkern oder auch Hyperkern. An
Teilchenbeschleunigern wie MAMI ist es möglich, diese künstlich zu erzeugen.
Seltsame Teilchen können auf der Erde nur für einen Bruchteil einer Sekunde
existieren, aber möglicherweise gibt es große Vorkommen tief im Innern von
Neutronensternen, die ebenso von der starken Kraft zusammen gehalten werden.
Viele offene Fragen zu diesen spektakulären Sternenleichen aus den Tiefen des
Alls sind bislang unbeantwortet: Wie groß sind Neutronensterne? Was befindet
sich in ihren nicht beobachtbaren Zentren? Wie heiß und dicht ist es dort?
Über das Studium der Hyperkerne lassen sich sonst unzugängliche Details der
starken Kräfte bestimmen, welche nicht nur in seltsamen Atomkernen, sondern auch
in Neutronensternen wirken. Somit werden die Fragen angegangen, wie man den
Aufbau von winzigen Atomkernen und von gigantischen Neutronensternen verstehen
kann und wie beides zusammenhängt.
Am Mainzer Mikrotron haben die
Wissenschaftler um Prof. Dr. Josef Pochodzalla und Dr. Patrick Achenbach
eine sehr schwere Form des gewöhnlichen Elements Wasserstoff erzeugt, dessen
Kern aus einem Proton, zwei Neutronen und einem Hyperon besteht. Dieser
künstlich geschaffene seltsame Atomkern hat eine etwa doppelt so große Masse wie
die schwerste stabil in der Natur vorkommende Form des Wasserstoffs, das
Deuterium.
Um die Masse des seltsamen Wasserstoff-Atomkerns möglichst exakt bestimmen zu
können, beobachteten die Kernphysiker den radioaktiven Zerfall des Atomkerns
erstmals mit mehreren magnetischen Spektrometern zugleich. Diese Geräte
funktionieren hier ähnlich wie Elektronenmikroskope, allerdings in einem viel
größeren Maßstab: Sie lenken die Teilchen durch ein starkes Magnetfeld ab und
bündeln sie an einer Stelle, an der Teilchendetektoren sie vermessen. Für eine
möglichst große Genauigkeit sind die Spektrometer nahezu 15 Meter hoch und
wiegen über 200 Tonnen. Weitere Voraussetzung für eine äußerst präzise Messung
ist die große Energie, Schärfe und Stabilität des beschleunigten
Teilchenstrahls, wie sie an MAMI erreicht wird.
Als Ergebnis der Mainzer
Messung konnte die Bindungsenergie des Hyperons im sehr schweren
Wasserstoff-Atomkern bestimmt werden. Sie ist etwa gleich groß wie die gesamte
Bindungsenergie des Deuterium-Atomkerns. Für die Wissenschaftler ganz besonders
spannend ist die noch unbeantwortete Frage, ob diese Bindungsenergie sich
verändert, wenn das Hyperon statt in einen Wasserstoff-Atomkern in einen gleich
schweren Helium-Atomkern eingebettet wird. Das würde dann bedeuten, dass die
Anziehungskraft der Protonen und Neutronen auf das Hyperon im Atomkern
unterschiedlich - und die Symmetrie zwischen den Kernbausteinen gebrochen wäre.
Die Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachmagazin Physical Review
Letters.
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