Nächtliches Drama in Sonnennähe
von
Stefan Deiters astronews.com
29. November 2013
Wohl selten wurde das Schicksal eines Kometen so aufmerksam
verfolgt, wie im Falle des Kometen C/2012 S1 (ISON), der gestern Abend den
sonnennächsten Punkt seiner Bahn durchlief. Und der Komet enttäuschte sein
Publikum nicht und sorgte für ein Drama mit noch ungewissem Ausgang: Zunächst
schien er sich komplett aufgelöst zu haben, dann tauchte er wieder auf. Hat also
ein Bruchstück überlebt?
Bild der Sonnensonde SOHO von heute Morgen. Das potentielle
Fragment des Kometen ISON ist oberhalb der ausgeblendeten
Sonnenscheibe gut zu erkennen.
Bild: ESA / NASA / SOHO |
Die Prognosen waren nicht wirklich günstig: Viele Experten hatten angesichts
von Beobachtungen aus den letzten Tagen und Wochen damit gerechnet, dass sich
der Komet C/2012 S1 (ISON)
bei seinem Flug um die Sonne zumindest teilweise auflösen wird. ISON hatte sich
gestern Abend unserem Zentralgestirn auf etwa
1,1 Millionen Kilometer angenähert. Sein Schicksal konnte auf der ganzen Welt
dank der Aufnahmen der Sonnensonden SOHO und STEREO verfolgt werden.
Zunächst schien es, als würde ISON tatsächlich das Schicksal anderer sogenannter "Sungrazer" (also Sonnenstreifer)
teilen. Auf den Bildern der Sonden konnte man verfolgen, wie der Komet bei
Annäherung an die Sonne immer schwächer wurde und sich dann ganz aufzulösen
schien. Später war zunächst auch keine Spur von dem Kometen auf der Seite der
Sonne zu sehen, wo er eigentlich hätte wieder auftauchen müssen. Das Thema
"Jahrhundertkomet" schien sich endgültig erledigt zu haben.
Doch dann kam plötzlich neue Hoffnung auf: Auf den Bildern der Sonnensonde
SOHO erschien nämlich auf dem vorherberechneten Orbit von ISON ein verwaschenes
Objekt, das wie ein Schweif ohne Kern aussah. Auf Bildern des Solar Dynamics
Observatory hingegen war an der vorausberechneten Stelle nichts von dem
Kometen zu erkennen.
Experten zeigten sich daher in der Nacht zunächst noch unbeeindruckt und auch
die Wissenschaftler des SOHO-Teams waren sich sicher: Der Komet ISON hat die
Umrundung der Sonne nicht überstanden. Bei dem Schweif, so die meisten
Fachleute, dürfte es sich um Staubteilchen von ISON und einige Trümmerteile
handeln, die sich auf der Bahn des Kometen weiterbewegen.
Ein solches Phänomen hatte man schon bei anderen Sungrazer-Kometen
beobachtet und eigentlich hätte dieser Staubschweif langsam schwächer werden
müssen. Doch das tat er nicht, wie Astrophysiker Karl Battams vom U.S. Naval Research Laboratory
auf der NASA-Seite zur ISON-Beobachtungskampagne schreibt. Stattdessen schien
irgendetwas langsam wieder heller zu werden. "Wir raufen uns gerade die Haare,
weil wir wissen, dass viele Interessierte, die Medien und auch Wissenschaftler
wissen wollen, was genau passiert ist. Und genau das wollen wir auch!"
Doch eine sichere Antwort haben die Experten bislang nicht. Sie vermuten
inzwischen, dass eventuell doch ein kleines Fragment des Kometenkerns die
Sonnenpassage überstanden hat, das nun langsam wieder einen Schweif ausbildet.
Man wisse allerdings nicht, wie groß dieser Kern ist und sei sich nicht einmal
sicher, ob er wirklich als Ganzes existiert. Deswegen sei auch unklar, wie lange
er der noch immer beträchtlichen Hitze der Sonne standhalten kann und wie hell
er noch werden wird.
Das Resümee von Battams zum jetzigen Zeitpunkt: "Wir haben eine ganze Reihe
von neuen Unbekannten und dieses kuriose, verrückte, dynamische und
unvorhersagbare Objekt begeistert, verblüfft und verwirrt uns noch immer. Wir
bitten alle um einige Tage Geduld, um die Daten zu analysieren und
herauszufinden, was da passiert ist."
Nach Einschätzung der Experten besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass
man in der kommenden Woche eventuell einen schwachen Schweif des Kometen am
Himmel beobachten kann. Allerdings sei dies bislang kaum mehr als Spekulation.
Unwahrscheinlich erscheint aber, dass ISON sich noch zu einem
"Jahrhundertkometen" entwickelt. Das Fragment des Kometenkerns ist auch auf den
SOHO-Bildern von heute Morgen deutlich und hell zu erkennen. Es bleibt also
weiter spannend.
Die NASA hat aus den Bildern von STEREO und SOHO von gestern einen
kleinen Film
zusammengestellt, der die letzten Stunden des Kometen ISON zeigt, die vielleicht
doch noch nicht die letzten Stunden des Kometen waren.
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