Unsere Milchstraße in jungen Jahren
von Stefan Deiters astronews.com
15. November 2013
Durch die Beobachtung von rund 400 Galaxien, die unserer
Milchstraße in verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung ähneln dürften, haben
Astronomen jetzt rekonstruiert, wie unsere Heimatgalaxie zu dem wurde, was wir heute am Himmel sehen. Die meisten ihrer Sterne
entstanden danach vor elf bis sieben Milliarden Jahren.
Die Milchstraße heute (oben) und wie sie vor
elf Milliarden Jahren ausgesehen haben könnte.
Die Erde gab es damals natürlich noch nicht.
Bild: NASA, ESA und Z. Levay (STScI) [Großansicht] |
"Zum ersten Mal haben wir jetzt direkte Aufnahmen, die uns zeigen, wie die Milchstraße in
der Vergangenheit aussah", freut sich Pieter G. van Dokkum von der Yale University.
"Natürlich können wir nicht die Milchstraße selbst in der Vergangenheit
beobachten. Wir haben aber Galaxien in vielen Milliarden Lichtjahren Entfernung
ausgewählt, die sich einmal zu einer Galaxie wie die Milchstraße entwickeln
werden. Durch das Verfolgen der Entwicklung dieser Geschwister unserer
Milchstraße haben wir herausgefunden, dass in unserer Galaxie 90 Prozent der
Sterne in einem Zeitraum von vor elf bis sieben Milliarden Jahren entstanden
sind, was man bislang nicht direkt messen konnte."
Dank des guten Auflösungsvermögens des Weltraumteleskops Hubble ist es dem Astronomenteam gelungen, auch weit entfernte Galaxien so detailliert zu
untersuchen, dass sich daraus die Entwicklung ihrer Struktur im Laufe von vielen
Milliarden Jahren ableiten lässt. Dies wiederum erlaubt Rückschlüsse auf die
Geschichte unserer eigenen Heimatgalaxie.
Der Aufbau unserer Milchstraße ähnelt im Prinzip dem eines Spiegeleis: Das
Eiweiß steht dabei für die galaktische Scheibe mit den Spiralarmen, in der sich
auch unser Sonnensystem befindet. Das Eigelb im Zentrum steht für den
Zentralbereich, den galaktischen Bulge, in deren Mitte ein supermassereiches
Schwarzes Loch zu Hause ist. Die Hubble-Beobachtungen deuten nun darauf hin, das
die Scheibe und der Bulge gleichzeitig zu der majestätischen Spiralgalaxie
herangewachsen sind, in der wir uns heute befinden.
"Man kann erkennen, dass diese Galaxien flockig und ausgedehnt sind",
beschreibt Shannon Patel von der Universität im niederländischen Leiden. "Es
gibt keine Hinweise auf einen Bulge ohne Scheibe, um den sich dann die Scheibe
später entwickelt hat." Und Teammitglied Erica Nelson von der Yale
University ergänzt: "Diese Galaxien zeigen uns, dass die gesamte
Milchstraße gleichzeitig gewachsen ist, im Gegensatz zu massereicheren
elliptischen Galaxien, wo der zentrale Bulge zuerst entstand."
Nach diesem Bild der Entstehungsgeschichte unserer Milchstraße dürfte unsere
Heimatgalaxie vor einigen Milliarden Jahren ein massearmes, bläuliches und
recht leuchtschwaches Objekt gewesen sein, in dem sich noch große Mengen an Gas
befanden, dem Grundstoff für neue Sterne. Die bläuliche Farbe der beobachteten
Verwandten der Milchstraße im jungen Universum deutet auf heftige
Sternentstehung hin.
Zum Höhepunkt der Sternentstehung muss es dabei etwa vier Milliarden Jahre
nach dem Urknall gekommen sein. In dieser Zeit entstehen in
Milchstraßen-ähnlichen Galaxien rund 15 neue Sterne in jedem Jahr. Zum
Vergleich: Heute bildet sich in der Milchstraße in jedem Jahr im Schnitt ein
Stern.
Zum Aufspüren von Galaxien, die sich für ihre Studie eignen, griffen die
Astronomen auf die Daten aus drei umfangreichen Himmelsdurchmusterungen zurück,
die mit dem Weltraumteleskop Hubble durchgeführt worden waren.
Insgesamt untersuchte das Team über 100.000 Galaxien genauer, um daraus
schließlich 400 Galaxien auswählen zu können, die für die Untersuchung der
Entstehungsgeschichte der Milchstraße am besten geeignet sind.
"Durch diese Beobachtungen konnten wir den größten Teil der Entwicklung der
Milchstraße erfassen", so Joel Leja von der Yale University. "Dank der
tiefen Durchmusterungen konnten wir auch die kleineren Galaxien sehen. Bei
früheren Beobachtungen waren immer nur die hellsten Galaxien in weiter
Vergangenheit zu erkennen. Jetzt können wir auch normalere Galaxien beobachten.
Hubble ermöglichte es uns, ihre Form, ihre Farbe und auch ihre
Entfernung von der Erde zu bestimmen."
Die Hubble-Beobachtungen machen erneut deutlich, dass gewaltige
Kollisionen zwischen Spiralgalaxien für deren Wachstum offenbar keine größere
Rolle gespielt haben, sondern sie hauptsächlich durch Sternentstehung gewachsen
sind. Damit unterscheidet sich ihre Entwicklung von der massereicher
elliptischer Galaxien.
"Unsere Beobachtungen zeigen, dass es mindestens zwei galaktische
Entwicklungswege gibt", fasst van Dokkum zusammen. "Massereiche elliptische
Galaxien bilden zunächst einen sehr dichten Kern im jungen Universum, der
vermutlich auch ein Schwarzes Loch enthält und der Rest der Galaxie kommt dann
langsam durch Verschmelzungen mit anderen Galaxien hinzu. Unsere Studie hat
gezeigt, dass Galaxien wie die Milchstraße einen anderen Entwicklungsweg hatten,
auf dem sie schließlich zu jenen majestätischen Spiralgalaxien heranwuchsen, die
wir heute beobachten können."
Die Untersuchung der Astronomen werden in zwei Fachartikeln beschrieben.
Einer ist bereits im Sommer in den Astrophysical Journal Letters
erschienen, der zweite wurde in dieser Woche im Astrophysical Journal
veröffentlicht.
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