Über 84 Millionen Sterne im Milchstraßenzentrum
von Stefan Deiters astronews.com
24. Oktober 2012
Mithilfe einer neun Gigapixel-Aufnahme des Infrarot-Surveyteleskops
VISTA haben Astronomen jetzt einen Katalog von mehr als 84 Millionen Sternen
erstellt, die sich im Zentralbereich unserer Milchstraße befinden. Er enthält
damit zehnmal mehr Sterne als frühere Kataloge. Durchmusterungen dieser Art sind
wichtig, um Ursprung und Entwicklung unserer Heimatgalaxie besser zu verstehen.
Das neue Bild des Zentralbereichs der
Milchstraße. Was wie ein Nebel aussieht, sind in
Wirklichkeit unzählige Einzelsterne - gut zu
erkennen auf der zoombaren Bildansicht auf
eso.org. Bild:
ESO / VVV Consortium / Ignacio Toledo [Großansicht
|
Zoomansicht bei eso.org] |
"Durch die detaillierte Beobachtung der unzähligen Sterne rund um das Zentrum
der Milchstraße können wir nicht nur sehr viel über die Entstehung und
Entwicklung unserer Galaxie lernen, sondern auch über Spiralgalaxien im
Allgemeinen", erläutert Roberto Saito von der Pontificia Universidad
Católica de Chile, der die Untersuchung geleitet hat.
Im Zentrum von Spiralgalaxien finden sich in der Regel eine große Anzahl von
Sternen. Einen solchen Bereich mit einer extrem hohen Sternenkonzentration gibt
es auch in unserer Milchstraße und Astronomen bezeichnen diese Region als
galaktischen Bulge. Für das Verständnis der Entstehung und Entwicklung
der Galaxie als Ganzes spielt dieser Bulge eine wesentliche Rolle.
Er lässt sich allerdings nicht leicht beobachten. "Die Beobachtung vom
Bulge unserer Milchstraße ist sehr schwierig, weil er durch Staub verdeckt
wird", erklärt Teammitglied Dante Minniti von der Pontificia Universidad
Católica de Chile. "Um ins Herz unserer Galaxie zu blicken, müssen wir im
Infraroten beobachten, wo Staub weniger störend ist."
Für genau solche Untersuchungen befindet sich auf dem Gipfel des Paranal in
Chile das ideale Instrument - das Infrarot-Surveyteleskop VISTA der europäischen
Südsternwarte ESO. Dieses speziell für großflächige Himmelsdurchmusterungen
ausgelegte Infrarot-Teleskop beobachtet im Rahmen des Programms VISTA
Variables in the Via Lactea (VVV) unter anderem die Region am Himmel, die
die Astronomen für ihre Studie interessierte.
Die öffentlich zugänglichen Daten nutzte das Team nun, um daraus ein 108.200
mal 81.500 Pixel Farbbild des zentralen Bereichs der Milchstraße zu erstellen.
Mit fast neun Milliarden Pixel handelt es sich um eine der größten
astronomischen Aufnahmen, die je erstellt wurden. Mit einer typischen, im
Buchdruck üblichen Auflösung würde das Bild eine Länge von neun Metern und eine
Breite von sieben Metern haben.
Jetzt haben die Wissenschaftler einen umfangreichen Katalog der auf dieser
Aufnahme erkennbaren Sterne vorgelegt. Das Bild zeigt einen Bereich, der rund
ein Prozent des gesamten Himmels ausmacht. Für jeden der rund 84 Millionen
Sterne, die auf dem Bild eindeutig als solche zu erkennen sind, wurde die
Position sowie die Helligkeit in verschiedenen Filterbereichen bestimmt.
Insgesamt lassen sich rund 173 Millionen Objekte auf der Aufnahme ausmachen.
Um mit dieser Datenmenge auch etwas anfangen zu können, haben die Astronomen
daraus ein Farben-Helligkeits-Diagramm erstellt, also eine Grafik, bei der die
Helligkeit eines Sterns gegen seine Farbe aufgetragen wird. In solchen
Diagrammen lassen sich die Entwicklungswege von Sternen von ihrer Entstehung bis
zu ihrem Ende verfolgen, so dass es den Astronomen einiges über die
physikalischen Eigenschaften der Bulge-Sterne verraten kann.
"Jeder Stern befindet sich an einem ganz bestimmten Punkt in diesem Diagramm
zu jedem Zeitpunkt seines Lebens. Wo genau, hängt von seiner Helligkeit und
seiner Temperatur ab. Die neuen Daten liefern uns eine Art Schnappschuss von
allen Sternen auf einmal und erlauben uns eine genaue Erfassung der Sonnen in
diesem Teil der Milchstraße", so Minniti.
Das Diagramm verrät den Astronomen somit, welche Art von Sternen sich
gegenwärtig im Bulge der Milchstraße finden lassen. Ein interessantes
Ergebnis dabei ist die große Zahl von hier vorhandenen lichtschwachen roten
Zwergsternen. Diese gelten als dankbares Ziel für die Suche nach kleineren, der
Erde ähnlichen extrasolaren Planeten, die - von uns aus betrachtet - vor ihrer
Sonne vorüberziehen und sich somit mit Hilfe der Transitmethode aufspüren lassen
müssten.
"Eine weitere großartige Sache am VVV-Survey ist, dass es sich um einen der
öffentlichen VISTA-Surveys der ESO handelt", so Saito. "Das bedeutet, dass wir
alle Daten über das ESO-Datenarchiv verfügbar machen und damit noch zahlreiche
andere faszinierende Ergebnisse aus dieser großartigen Quelle zu erwarten sind."
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