Ein unsteter junger Pulsar
Redaktion
/ Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie astronews.com
24. Juli 2012
Pulsare sind Neutronensterne, die sich mit hoher Geschwindigkeit um die
eigene Achse drehen. Ein internationales Astronomenteam hat nun in den
Daten des NASA-Weltraumteleskops Fermi ein ganz besonderes
Exemplar aufgespürt. Es ist extrem jung, im Radiobereich nicht sichtbar
und zeigte zudem einen deutlichen Ruck in der Drehbewegung.
Ein Gammapulsar ist ein rotierender
Neutronenstern, der in seinem extrem starken
Magnetfeld geladene Teilchen auf annähernd
Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Dabei entsteht
unter anderem Gammastrahlung (violett) weit über
der Oberfläche des kompakten Sternrests, während
Radiowellen (grün) kegelförmig über den
Magnetpolen ausgesendet werden.
Bild: NASA / Fermi / Cruz de Wilde |
Pulsare sind Neutronensterne, die durch eine
Supernova-Explosion entstanden sind und sich schnell und gleichmäßig um
ihre eigene Achse drehen. Durch ihr intensives Magnetfeld strahlen sie
kegelförmig Radiowellen oder Gammaphotonen ab. Ihre Rotation schwenkt
die Kegel wie den Scheinwerfer eines Leuchtturms durchs All. Zielt der
Neutronenstern dabei in Richtung Erde, so ist er als Pulsar sichtbar.
Nicht immer zeigt er sich allerdings gleichzeitig in mehreren
Spektralbereichen, in einigen Fällen messen die Wissenschaftler nur das Blinken
als Radiopulsar, in anderen lassen sich lediglich die periodischen
Ankunftszeiten von Gammaphotonen registrieren. Solche Pulsare werden als reine
Gammapulsare bezeichnet. Sie lassen sich sehr schwer identifizieren, denn ihre
Eigenschaften wie etwa die Rotationsperiode und deren zeitliche Änderung sind
unbekannt. Und auch ihre exakte Position am Himmel können die Astronomen aus den
ursprünglichen Beobachtungen mit dem Gammastrahlen-Weltraumteleskop Fermi
nur näherungsweise bestimmen. Sie müssen daher die Existenz eines Pulsarsignals
bei einer Vielzahl von Kombinationen dieser Eigenschaften in einer
rechenzeitaufwändigen Blindsuche überprüfen. Eine versteckte Periodizität in den
Ankunftszeiten der Gammaphotonen lässt sich so nur mit großem Aufwand aufspüren.
Auch Hochleistungs-Rechnersysteme geraten dabei schnell an ihre Grenzen. Doch
die Forscher nutzten ursprünglich zur Analyse von Gravitationswellendaten
entwickelte Algorithmen, um die Fermi-Daten besonders effizient zu
durchsuchen. "Mithilfe neuer optimaler Suchmethoden und des Computerclusters
ATLAS am Albert-Einstein-Institut (AEI) Hannover konnten wir viele bislang
unentdeckte Signale aufspüren", sagt Bruce Allen, Direktor am AEI. So konnte
Allens Team bereits im November 2011 die Entdeckung von neun neuen
Fermi-Gammapulsaren verkünden, die allen vorherigen Suchen entgangen waren (astronews.com
berichtete).
Nun machten die Wissenschaftler mit derselben Methode einen weiteren
außergewöhnlichen Fund. Der Name des neu entdeckten Pulsars - J1838-0537 -
ergibt sich aus seinen Himmelskoordinaten. "Der Pulsar ist mit einem Alter von
5.000 Jahren sehr jung. Er dreht sich rund siebenmal pro Sekunde um die eigene
Achse und befindet sich am Himmel in Richtung des Sternbilds Schild", erläutert
Holger Pletsch, Wissenschaftler in Allens Gruppe und Erstautor der jetzt in der
Fachzeitschrift The Astrophysical Journal Letters veröffentlichten
Studie. "Nach der Entdeckung waren wir sehr überrascht, dass der Pulsar zuerst
nur bis September 2009 sichtbar war. Danach schien er plötzlich zu
verschwinden."
Erst mit einer aufwändigen Folgeanalyse kam ein internationales
Wissenschaftlerteam um Pletsch dem Geheimnis von Pulsar J1838-0537 auf die Spur:
Er verschwand nicht, sondern erfuhr einen Ruck (englisch "glitch"), nach dem er
sich plötzlich um 38 Millionstel Hertz schneller drehte als zuvor. "Diese
Differenz mag verschwindend klein erscheinen, doch es ist der größte jemals bei
einem reinen Gammapulsar gemessene Glitch", weiß Allen.
Und dieser Glitch hatte Folgen. "Bereits nach acht Stunden geht dadurch in
unserer Zählung eine komplette Umdrehung des Pulsars verloren und wir können
nicht mehr feststellen, zu welcher Rotationsphase die Gammaphotonen den Detektor
an Bord von Fermi erreichten", ergänzt Pletsch. Das Blinken des
Neutronensterns werde auf diese Weise praktisch unsichtbar. Berücksichtigen die
Forscher den Glitch und korrigieren die Rotationsänderung, taucht der Pulsar
erneut in den Messdaten auf.
Die genaue Ursache der bei vielen jungen Pulsaren beobachteten Glitches ist
bislang unbekannt. Astronomen ziehen Beben der Neutronensternkruste oder
Wechselwirkungen des suprafluiden Sterninneren mit der Kruste als mögliche
Erklärungen heran. "Eine große Zahl von vor allem starken Glitches bei Pulsaren
zu erfassen, bietet eine Möglichkeit, mehr über den inneren Aufbau dieser
kompakten Himmelskörper zu erfahren", sagt Lucas Guillemot, vom
Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn, der Zweitautor der
Studie. "Das ist ein schönes Beispiel für die Zusammenarbeit zweier
Max-Planck-Institute mit einander ergänzenden Forschungsschwerpunkten", so
Michael Kramer, Direktor am MPIfR und Leiter der Forschungsgruppe
"Radioastronomische Fundamentalphysik".
Nach der Entdeckung in den Daten des Fermi-Satelliten richteten die
Forscher das Radioteleskop bei Green Bank im US-amerikanischen West Virginia auf
die Himmelsposition des Gammapulsars. In einer fast zweistündigen Beobachtung
sowie bei der Analyse einer weiteren einstündigen älteren Beobachtung der Quelle
fanden sich keine Anzeichen von Pulsationen im Radiobereich: J1838-0537 ist
demnach mit großer Wahrscheinlichkeit ein reiner Gammapulsar.
Auffällige Übereinstimmungen gab es hingegen mit Beobachtungen des High
Energy Stereoscopic System (H.E.S.S.) in Namibia, das nach
hochenergetischer Gammastrahlung aus den Tiefen des Alls sucht. Astronomen
fanden in einer Durchmusterung mit H.E.S.S. nahe dem nun entdeckten Pulsar eine
ausgedehnte Quelle solcher Strahlung, konnten deren Natur bisher nicht klären.
Die Entdeckung des Pulsars legt nahe, dass es sich bei der H.E.S.S.-Quelle um
einen Pulsarwind-Nebel handelt. Dieser wird von fast lichtschnellen Teilchen
erzeugt, die der Pulsar in seinem extrem starken Magnetfeld beschleunigt. Da nun
der genaue Ort des Pulsars bekannt ist, kann H.E.S.S. dies zukünftig
berücksichtigen und eine höhere Messgenauigkeit als zuvor in dieser
Himmelsregion erreichen.
Der ATLAS-Computercluster des Albert-Einstein-Instituts hat damit bereits bei
der Entdeckung des zehnten zuvor unbekannten Gammapulsars geholfen, doch Allens
Team hat inzwischen weitere Rechenkapazitäten mobilisiert. "Seit August 2011
läuft unsere Suche auch auf dem verteilten Rechenprojekt Einstein@Home,
das eine vielfach höhere Rechenkraft als der ATLAS-Cluster hat. Wir sind sehr
optimistisch, weitere außergewöhnliche Gammapulsare in den Fermi-Daten
aufzuspüren", sagt Allen. Ziel der erweiterten Suche ist unter anderem die
Entdeckung des ersten reinen Gammapulsars mit einer Rotationsperiode im
Millisekundenbereich.
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