Ausgestoßene im intergalaktischen Raum?
von Stefan Deiters astronews.com
2. Mai 2012
Es ist nicht leicht, einen Stern aus unserer Milchstraße zu
kicken. Dazu bedarf es unter anderem der Hilfe des supermassereichen Schwarzen
Lochs im Zentrum. Jetzt glauben Astronomen über 600 Sterne aufgespürt zu haben,
die einmal Teil unserer Heimatgalaxie waren und sich nunmehr im
intergalaktischen Raum zwischen Milchstraße und Andromedagalaxie befinden.
Stammen die
jetzt im intergalaktischen Raum entdeckten
ungewöhnlich roten Sterne aus dem Zentrum der
Milchstraße?
Bild: Michael Smelzer, Vanderbilt
University |
Damit ein Stern der Anziehungskraft unserer Milchstraße entkommen kann,
benötigt er eine bestimmte Mindestgeschwindigkeit. Diese ist allerdings so hoch,
dass es kaum einen Prozess gibt, durch den ein Stern auf eine solche
Geschwindigkeit beschleunigt werden kann. Im Zentrum unserer Milchstraße ist
dies jedoch möglich: Gerät nämlich ein Doppelsternsystem zu nahe an das dortige
supermassereiche Schwarze Loch, kann ein Partner von der Schwerkraftfalle
eingefangen und der andere dann mit hoher Geschwindigkeit ins All gekickt
werden. Solche Hochgeschwindigkeits-Sterne wurden tatsächlich schon gefunden:
Insgesamt hat man 16 dieser High-Speed-Sonnen aufgespürt, allerdings befinden
sich alle noch innerhalb unserer Milchstraße.
In der Mai-Ausgabe der Fachzeitschrift Astronomical Journal
berichten Astronomen nun von der Entdeckung von 677 Sternen, die sich im
intergalaktischen Raum zwischen Milchstraße und Andromeda befinden und die sie
für Hochgeschwindigkeits-Sterne halten, die durch das supermassereiche Schwarze
Loch aus dem Zentrum unserer Galaxie gekickt worden sind. Sie sind den
Astronomen vor allem wegen ihrer eigentümlichen roten Farbe aufgefallen.
"Diese Sterne sind wirklich etwas Besonderes", meint Kelly Holley-Bockelmann
von der Vanderbilt University, die die Untersuchung gemeinsam mit ihrem
Doktoranden Lauren Palladino durchgeführt hat. "Es handelt sich um Rote
Riesensterne mit hoher Metallizität, wodurch sie eine ungewöhnliche Farbe
bekommen."
Unter "Metallizität" verstehen Astronomen den Anteil von Elementen in
Sternen, die schwerer sind als Wasserstoff und Helium. Besitzt ein Stern
beispielsweise eine sehr geringe Metallizität, besteht er fast ausschließlich
aus Wasserstoff und Helium. Die Metallizität kann den Astronomen auch etwas über
den Ursprung von Sternen verraten: So dürften die jetzt entdeckten Sonnen aus
dem Inneren unserer Galaxie stammen, da ältere Sterne und Sterne aus den
galaktischen Randbereichen in der Regel geringere Metallizitäten aufweisen.
Die Astronomen entdeckten die Sterne bei der Durchsicht von Millionen von
Sternen, die im Sloan Digital Sky Survey erfasst sind. "Wir waren
überzeugt davon, dass es diese stellaren Vagabunden geben muss. Niemand hatte
allerdings bisher nach ihnen gesucht, deswegen haben wir es einfach gemacht", so
Holley-Bockelmann, deren eigentliches Forschungsgebiet das supermassereiche
Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße ist.
Rote Riesen sind ein Entwicklungsstadium, das Sterne wie unserer Sonne am
Ende ihres nuklearen Lebens erreichen. Deswegen ist davon auszugehen, dass es
sich bei den Sternen, die Holley-Bockelmann und ihr Team entdeckt haben, um ganz
normale Sterne gehandelt haben dürfte, als diese dem zentralen Schwarzen Loch zu
nahe kamen und dabei stark beschleunigt wurden. Auf ihrer Reise aus der Galaxie
ging ihre normale Entwicklung aber weiter und sie wurden schließlich zu Roten
Riesen.
"Die Untersuchung dieser stellaren Vagabunden könnte uns einiges über die
Geschichte und die Entwicklung unserer Heimatgalaxie verraten", meint
Holley-Bockelmann. Die Astronomen wollen nun überprüfen, ob sich unter den
677 Sternen nicht eventuell auch ungewöhnlich rote Braune Zwerge verstecken.
Diese sind nämlich deutlich lichtschwächer als Rote Riesen und müssten deswegen
einen wesentlich geringeren Abstand von uns haben, um ähnlich hell zu
erscheinen.
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