Fehlerhafte Messung statt Sensation?
von Stefan Deiters astronews.com
23. Februar 2012
Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen:
Ein lockeres Kabel, so ein seit gestern verbreitetes Gerücht, sei dafür
verantwortlich, dass man am CERN Neutrinos mit Überlichtgeschwindigkeit gemessen
hat. Hämische Kommentare ließen im Internet nicht lange auf sich warten.
Inzwischen hat auch das CERN die Meldung teilweise bestätigt. Ganz so
offensichtlich ist die Sache aber wohl noch nicht.
Der
OPERA-Detektor in Gran Sasso.
Foto: OPERA-Kollaboration |
Es war die wissenschaftliche Sensation des Herbstes 2011: Wissenschaftler am
Genfer CERN hatten im Rahmen eines OPERA genannten Experimentes gemessen, dass
sich Neutrinos offenbar ein wenig schneller bewegen als das Licht. Nach allem,
was die Physik heute weiß, sollte dies eigentlich nicht möglich sein.
Entsprechend vorsichtig war das Forscherteam: Es stellte anderen
Wissenschaftlern die Daten zur Verfügung und bat bei der Suche nach möglichen
Fehlern im Versuchsaufbau und bei dem Experiment zu helfen. Das änderte
natürlich nichts daran, dass in vielen Medien schon über die Folgen der
vermeintlich überlichtschnellen Neutrinos spekuliert wurde - nicht immer mit dem
dafür notwendigen Sachverstand.
Zweifellos aber war das Ergebnis aus Genf faszinierend, könnte es doch
zumindest ein Hinweis darauf sein, dass das gegenwärtig aktuelle physikalische
Weltbild nicht ganz so gut ist, wie viele immer angenommen haben. Eine Meldung
der amerikanischen Webseite ScienceInsider, die zum anerkannten
amerikanischen Wissenschaftsmagazin Science gehört, sorgte daher
gestern Abend schnell für erhebliche Aufregung: Die Messungen am CERN, so war
dort zu lesen, sei durch eine lockere Glasfaserverbindung zu erklären, die einen
GPS-Empfänger mit einem Computer verbindet. Damit würden sich genau die 60
Nanosekunden erklären lassen, die die Neutrinos bei zwei Experimenten schneller
gewesen sein sollen als das Licht.
Beim CERN in Genf hat man den Bericht inzwischen teilweise bestätigt.
Die OPERA-Kollaboration, so eine heute verbreitete Presseerklärung, hätte zwei
mögliche Effekte gefunden, die die Geschwindigkeitsmessung eventuell beeinflusst
haben könnten, dies aber mit unterschiedlicher Wirkung. Der erste Effekt, der
mit einem "Oszillator" zu tun hat, der für die Synchronisation der
GPS-Instrumente des Experimentes sorgt, könnte dazu geführt haben, dass die
Flugzeit der Neutrinos sogar überschätzt wurde.
Die zweite mögliche Fehlerquelle, so die CERN-Pressemitteilung, sei
tatsächlich eine Glasfaserverbindung, die das externe GPS-Signal zur Uhr des
OPERA-Experimentes leitet und die während der Messungen nicht richtig
funktioniert haben könnte. Wenn dies der Fall sei, wäre die Flugzeit der
Neutrinos unterschätzt worden. Sie wären somit vermutlich nicht schneller als
das Licht gewesen.
Ob und wie stark diese beiden möglichen Fehlerquellen die Ergebnisse
tatsächlich beeinflusst haben, sollen nun neue Messungen zeigen, die für Mai
geplant sind. Im Internet gab es gestern nach Bekanntwerden der möglichen
Erklärung für die "überlichtschnellen Neutrinos" schnell recht hämische
Kommentare. Wissenschaftler sind da gelassener: "Die jüngsten Entwicklungen
zeigen nur, wie hart das OPERA-Team daran arbeitet, ihre Ergebnisse zu
verstehen", zitiert der britische Sender BBC den Teilchenphysiker Dave Wark vom
Rutherford Appleton Laboratory in Chilton in der englischen Grafschaft Oxfordshire.
Beim OPERA-Experiment wird ein Neutrinostrahl vom europäischen
Kernforschungszentrum CERN in Genf zum 730 Kilometer entfernten Untergrundlabor
Gran Sasso in den Bergen bei Rom geschickt und genau gemessen, wie lange die
Neutrinos für ihren Weg benötigen. Im vergangenen Jahr war das Experiment zwei
Mal durchgeführt worden. Das Ergebnis war jeweils, dass die Elementarteilchen
ihr Ziel genau 60 Nanosekunden schneller erreicht hatten, als es dem Licht
möglich gewesen wäre.
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