Was können Astronauten leisten?
Redaktion /
Pressemitteilung des DLR astronews.com
15. Mai 2008
Welcher Astronaut kann in entscheidenden Momenten unter
erheblichem Stress einen kühlen Kopf bewahren und am besten reagieren? Dieser
Frage nach der psychischen und physiologischen Leistungsfähigkeit von
Crewmitgliedern soll nun an Bord der Internationalen Raumstation ISS
nachgegangen werden. Dazu startete gestern an Bord eines Progress-Raumfrachters
das HealthLab des DLR.
Die Sojus-Rakete mit dem Progress-Raumfrachter
vor dem Start.
Foto: Roskomos |
Gestern Abend startete um 22.22 Uhr MEZ vom Weltraumbahnhof Baikonur ein
weiterer Progress-Raumfrachter zur Internationalen Raumstation ISS. Mit an Bord
ist die vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelte
medizinische Anlage HealthLab. In den nächsten Monaten soll damit die
psychische und physiologische Leistungsfähigkeit der Astronauten untersucht und
analysiert werden. Ziel des gemeinsamen deutsch-russischen Experiments des
Moskauer Institutes für Weltraummedizin (IBMP) und des DLR-Instituts für Luft-
und Raumfahrtmedizin ist es, die Eignung der Astronauten zur Durchführung
komplexer Aufgaben vorherzusagen.
Vieles deutet darauf hin, dass Menschen auf psychische Belastung wie etwa
Stress unterschiedlich reagieren. So erhöht sich der Blutdruck, es treten
Schweißausbrüche und Magendruck auf. Die Erfahrungen mit und in
Stresssituationen konnten bislang jedoch nicht objektiv bestätigt werden – weder
im Weltraum noch auf der Erde.
In dem gemeinsamen deutsch-russischen Experiment werden Astronauten am Boden,
sowie an Bord der ISS einer kontrollierten Stresssituation ausgesetzt. Während
der Simulation eines von Hand zu steuernden Andockmanövers werden die
psychischen und physiologischen Reaktionen gemessen. Bei diesem Andockmanöver
handelt es sich um eine mental und motorisch äußerst komplexe Aufgabe. So sind
dabei zeitgleich sechs Freiheitsgrade im Raum zu kontrollieren. Zum Vergleich:
Beim Autofahren hat man es mit zwei Freiheitsgraden zu tun, beim Fliegen eines
Flugzeuges mit vier. Ein solches Andockmanöver ist aber von zentraler Bedeutung
für den Erfolg einer ganzen Mission.
Durch die Untersuchung der psychischen und physiologischen Leistungsfähigkeit
der Astronauten soll in Zukunft objektiv entschieden werden können, welcher der
Kandidaten in einer konkreten Situation am besten in der Lage ist, Aufgaben
erfolgreich durchzuführen. Erstmalig werden dabei psychologische Testverfahren
mit quantitativen physiologischen Messungen verknüpft. Die resultierenden Daten
werden mit der vom DLR entwickelten und von der Firma Koralewski
Industrie-Elektronik in Celle im Auftrag der DLR-Raumfahrt Agentur gebauten
medizinischen Messanlage HealthLab erfasst. Deren Komponenten sind
klein und handlich. Sie können am Körper getragen werden. Gleichzeitig werden
mehr als zehn Messwerte wie Blutdruck, Puls, Atmung und Stimme erfasst und
analysiert.
Anhand dieser Daten will die deutsch-russische Wissenschaftlergruppe
untersuchen, wie Astronauten in ein "Autonomes Outlet Type"-Schema eingeordnet
werden können. Es dient zur Einteilung in Stressreaktionstypen. Dabei werden
auch die Beanspruchungsgrenzen ermittelt.
Mediziner nutzen den innovativen Ansatz des Experiments bereits in anderen
medizinischen Forschungsbereichen, so beispielsweise in der Reise- und
Expeditionsmedizin und in der DLR-Pilotenauswahl. Das Ziel der Untersuchungen am
Boden und auf der ISS ist es, ein diagnostisches Verfahren zu entwickeln, mit
dessen Hilfe die Zuverlässigkeit von Handlungen in Stress-Situationen
vorhergesagt werden kann. So könnte die aktuelle mentale Beanspruchung von
Menschen ermittelt werden, die eine hohe berufliche Verantwortung tragen, wie
Fluglotsen, Piloten oder Sprengstoffexperten.
Eine Machbarkeitsstudie zu diesem Experiment wurde bereits Ende der 1990er
Jahre auf der russischen MIR-Station mit einem Vorgängermodell von
HealthLab über vier Jahre lang erfolgreich durchgeführt. Mit Beginn der
Mission der 17. ISS-Stammbesatzung werden die russischen Kosmonauten in einer
systematischen Studie untersucht. Die entsprechenden Vorflugtests haben bereits
stattgefunden. Eine Erweiterung des Experiments auf das Training mit dem
kanadischen Roboterarm der ISS ist in Kooperation mit der Kanadischen
Raumfahrtagentur CSA in Vorbereitung.
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ISS - die Berichterstattung über Bau und
Betrieb der Internationalen Raumstation
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