Milchstraße als Sternendieb
von
Hans Zekl
für
astronews.com
16. Februar 2006
Italienische Astronomen nahmen mit der Very Large Telescope (VLT) der ESO auf dem Cerro Paranal
in Chile den Kugelsternhaufen M12 unter die Lupe. Sie stellten dabei fest, dass
die Milchstraße dem Haufen insgesamt rund eine Million Sterne geraubt haben
muss. Das dürfte die Lebenszeit des Haufens dramatisch verkürzen.
Das Zentrum von M12 in einer Aufnahme des VLT.
Foto: ESO
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Auf seiner Bahn um das Zentrum der Milchstraße hat M12 einen
großen Teil seiner Sterne verloren Bild: ESO [Großansicht] |
Kugelsternhaufen sind alt, sogar sehr alt. Ihre Ursprünge liegen 12 bis
13 Milliarden Jahre zurück - in einer Zeit, als die Milchstraße entstand. In ihnen drängen sich 10.000 bis
zu über eine Million Sterne auf engem Raum.
Für Astronomen stellen sie ein besonderes Forschungsfeld dar, weil alle ihre Sterne dasselbe Alter besitzen und unter denselben Bedingungen entstanden
sind. Nur durch ihre Größe bzw. ihre Masse unterscheiden sie sich.
Deshalb lassen sich an ihnen besonders gut die Theorien der Sternentwicklung testen.
M12 ist das zwölfte Objekt in dem Katalog "nebelhafter Objekte" des französischen Astronomen und Kometenjäger Charles Messier, den er 1774 zusammengestellt hatte. Wie alle anderen etwa 200 Kugelsternhaufen läuft M12 auf einer
lang gestreckten Ellipsenbahn um das Zentrum unserer Galaxis. Seine 200.000 Sterne besitzen zwischen 20 und 80 Prozent der Masse der Sonne. Der Haufen ist 23 000 Lichtjahre entfernt und im Sternbild Schlangenträger, Ophiuchus, zu finden.
Das Forscherteam um Guido De Marchi von der europäischen Raumfahrtbehörde ESA untersuchte
nun 16.000 Sterne des Haufens und fand dabei eine auffällige Abweichung in der Massenverteilung der Sterne.
"In der Nähe der Sonne und in den meisten Sternhaufen sind massearme Sterne am häufigsten. Doch unsere Beobachtungen am VLT zeigen, dass dies nicht für M12 gilt", erläuterte De Marchi die Entdeckung. Normalerweise würde man für einen sonnenähnlichen Stern vier andere mit etwa der halben Masse erwarten. Aber im Falle von M12 finden sich gleichviele Sterne unterschiedlicher Masse.
Offensichtlich ist der fehlende Anteil durch die Einwirkung unsere Milchstraße verloren gegangen. Jedes Mal, wenn der Haufen durch die dichteren Teile der Milchstraßenebene oder des Kernbereichs wandert, werden ihm die kleinsten Sterne entrissen.
"Wir schätzen, dass Messier
12 viermal soviel Sterne verloren hat, wie er heute noch besitzt," erklärte Francesco Paresce von der INAF, Italien.
"Das bedeutet, dass rund eine Million Sterne in den Halo unserer Milchstraße geschleudert wurden." Die Verlustrate
dürfte die Lebensdauer des Haufens deutlich verkürzen. Die Astronomen schätzen,
dass er nur noch etwa
4,5 Milliarden Jahre existieren wird - normalerweise sollte ein Haufen seines
Alters noch ungefähr sieben bis acht Milliarden überleben.
Allerdings ist M12 nicht der einzige "geschröpfte" Kugelsternhaufen unserer Galaxis. Schon 1999 machte dasselbe Team an NGC 6712 eine ähnliche Beobachtung.
Die Wissenschaftler hoffen, noch weiter derartige Kugelsternhaufen zu entdecken, um zu verstehen,
wie der Halo unserer Milchstraße entstand und seine heutige Form erhielt.
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