Mit weiteren 550.000 Euro fördert das Deutsche Zentrum für Luft- und
Raumfahrt (DLR) das Mars-Kamera-Projekt von Prof. Dr. Gerhard Neukum. Damit hat
die DLR die Gesamtsumme der Projektförderung für den Planetenforscher der Freien
Universität Berlin auf etwa 1,2 Millionen Euro erhöht. Das Anschlussprojekt
dient der Auswertung der sensationellen Aufnahmen von der Marsoberfläche.
Gerhard Neukum ist der Erfinder der Stereo-Kamera HRSC/SRC an Bord des ersten
europäischen Mars-Orbiters Mars Express. Er leitete den Bau der Kamera
und trägt die primäre wissenschaftliche Verantwortung für die Datenerfassung und
anschließende Auswertung zusammen mit einem international besetzten
Team aus Wissenschaftlern. Die Aufnahmen, die die Kamera von der Oberfläche
des roten Planeten lieferte, gehen seit Jahresbeginn um die ganze Welt.
Ein Ziel des Kameraexperiments ist die globale Abdeckung der Marsoberfläche, die
in ihrer Größe der Landoberfläche aller Kontinente der Erde entspricht. Die
Missionszeit beträgt zwei bis vier Jahre. Hinter der HRSC-Kamera (High
Resolution Stereo Camera) verbirgt sich ein zwanzig Kilogramm schweres Gerät,
das wie ein Flachbettscanner arbeitet: Neun verschiedene Zeilensensoren nehmen
quer zur Flugrichtung denselben Bildstreifen auf. Weil jeder Sensor das gleiche
Bild aus einem anderen Blickwinkel aufnimmt, kann daraus ein dreidimensionales
Bild konstruiert werden. Der Clou ist ein zweiter Kamerakopf, der wie eine Lupe
arbeitet: Das ultra hoch auflösende Teleobjektiv SRC (Super-Resolution Channel)
fotografiert weitere Details von der Marsoberfläche, die in die übrigen Bilder
eingebettet werden.
Beachtlich ist neben der einmaligen Stereofähigkeit zur dreidimensionalen
Erfassung der Marsoberfläche die Fähigkeit der Kamera, gleichzeitig Farbbilder
zu liefern und große Gebiete in hoher Auflösung aufzunehmen. Die Kamera erreicht
damit einen neuen Rekord der Mars-Forschung: Aus 275 Kilometern Entfernung
liefert sie 4.000 Kilometer lange und sechzig bis achtzig Kilometer breite
Bildstreifen mit einer Auflösung von zwölf Metern pro Bildpunkt (Pixel). Die
Bilder des Teleobjektivs haben sogar eine Auflösung von zwei bis drei Metern. Die
bisher für globale Untersuchungen verfügbaren Daten noch aus den Viking-Missionen
der siebziger Jahre liegen bei nur 100 bis 200 Meter pro Bildpunkt. Obwohl sich
die Mars Express-Mission noch in der orbitalen Test- und
Vorbereitungsphase befindet, sind mit der HRSC-Kamera bereits etwa acht Prozent
der Marsoberfläche erfasst worden.
Ein eindrucksvolles Beispiel für die Leistungsfähigkeit der Stereokamera sind
auch die unlängst veröffentlichten Bilder der Spuren von starken tektonischen
Spannungen in der Kruste des Roten Planeten in der so genannten Acheron
Fossae-Region. Dieses Gebiet ist von tiefen Gräben durchzogen, was von einer
intensiven "Zerscherung" der Oberfläche in der geologischen Vergangenheit des
Mars zeugt. Die Aufnahmen, die die bogenförmigen Gräben und Bergrücken zeigen,
entstanden in Orbit 37. Der Acheron ist ein Fluss im Nordosten Griechenlands. In
der griechischen Mythologie fließen in ihm Trauer und Leid durch ein Felsentor
in den "Hades", die Unterwelt. Die Acheron Fossae, "die Gräben des Acheron",
befinden sich etwa tausend Kilometer nördlich von Olympus Mons, dem größten
Vulkan auf dem Mars. Zwischen etwa 35 und 40 Grad nördlicher Breite und 220 bis
230 Grad östlicher Länge bildet hier ein mehrere Kilometer hohes, wie eine
umgekehrt liegende Mondsichel geformtes Gebirgsmassiv die nördliche Grenze des
Marshochlandes. Das kleine Gebirge befindet sich am Nordrand des
Tharsis-Plateaus und ist Bestandteil eines sternförmig orientierten Netzes von
Dehnungsstrukturen, deren Mittelpunkt sich im Zentrum der Tharsis-Aufwölbung
befindet.
Vermutlich wurde die Tharsis-Erhebung durch heißes, aus dem Marsmantel
emporsteigendes Material nach oben gestemmt. Die größten Vulkane des Mars finden
sich in dieser Region. Als die Spannungen in der starren Gesteinskruste auf der
Lithosphäre, einer elastischen Zone zwischen Kruste und Mantel, zu groß wurden,
bildeten sich die hier gezeigten "Sprünge" entlang von so genannten
Schwächezonen. Die Aufnahmen lassen eine stark zergliederte "Berg-und-Tal"-Landschaft
erkennen. Aus dem zentralen Teil der Acheron Fossae verläuft oberhalb der
Bildmitte ein 15 Kilometer breites und 1.700 Meter tiefes Tal. Das Gebiet ist
ein klassisches Beispiel für eine tektonische Struktur, die in der Geologie als
"Horst und Graben"-System bezeichnet wird: Durch die Dehnung der Kruste rutschen
große Blöcke entlang von Abschiebungsflächen ab und bilden Gräben zwischen den
stehen gebliebenen Bergrücken, den "Horsten".
Derartige tektonische Muster sind auch auf der Erde bekannt und finden sich
meist entlang der Bruchlinie zweier auseinanderdriftender Kontinente und werden
dann als "Riftzone" bezeichnet. Ein aktuelles Beispiel ist das Kenia-Rift in
Ostafrika. In geologischer Vorzeit bildete sich auch der Oberrheingraben
zwischen Basel und Karlsruhe auf diese Weise. Die Möglichkeit, mit der HRSC eine
Landschaft gleichzeitig in hoher Auflösung und dreidimensional zu betrachten,
versetzt die Wissenschaftler nun in die Lage, das Gebiet genauer "unter die
Lupe" zu nehmen, um detaillierte Aussagen über die geologischen Prozesse zu
treffen, die bei der Bildung der Acheron Fossae eine Rolle gespielt haben. Der
flache Talgrund der Gräben ist von einem auffällig glatten Material bedeckt, das
zudem an einigen Stellen deutlich dunkler als die Umgebung ist. Geschwungene
Formen bzw. Fließstrukturen sind ein Hinweis darauf, dass sich eine zähflüssige
Masse von den Hängen herab in die Täler bewegt hat. Noch ist nicht bekannt, ob
Vulkanismus hier eine Rolle gespielt haben mag, oder ob sich Wasser und Eis
durchmischt von Gestein über den Boden herabgeschoben hat.