Der eiernden Erde
auf der Spur
Redaktion
astronews.com
6. Mai 2004
Wer
Satelliten im All genau ausrichten und für irdische Zwecke nutzen will, muss vor
allem eines kennen: die exakte Drehung der Erde. Doch leider "eiert" unser
Heimatplanet nicht unerheblich - ein Verhalten, das Geodäten weltweit mit
astronomischer Hilfe registrieren. Sie verwenden zur exakten Berechnung der
Erddrehung ein Netz von Radioteleskopen und Milliarden Lichtjahre entfernte
Quasare.
Geodäten versuchen mit astronomischen Hilfsmitteln die
Erddrehung zu bestimmen.
Foto:
NSSDC/NASA |
Das kleine Örtchen Laufenburg an der Deutsch-Schweizer Grenze wurde im
vergangenen Dezember kurzzeitig berühmt: Die von Schweizer Seite her gebaute
neue Rheinbrücke und ihre Anbindung am deutschen Ufer wichen in der Höhe um 54
Zentimeter voneinander ab - "Rheinbrücke mit Treppe" spottete prompt der
"Spiegel". Grund für den Schildbürgerstreich: Deutschland bezieht sich bei
Höhenangaben auf den Meeresspiegel der Nordsee, die Schweiz auf das Mittelmeer.
Dazwischen klafft aber eine Lücke von 27 Zentimetern, die das Planungsbüro leider
"falsch herum" korrigierte. Um Pannen wie solche tunlichst zu vermeiden,
arbeiten Geodäten auf der ganzen Welt an international verbindlichen
Koordinatensystemen. Auch das Geodätische Institut der Universität Bonn legt
regelmäßig das "Maßband" an unseren Heimatplaneten.
Immer montags und donnerstags messen die Bonner Geodäten die Erdrotation.
"Na ja", relativiert Dr. Axel Nothnagel, Forschungsgruppenleiter am Geodätischen
Institut, "Messungen führen wir streng genommen nicht durch - das übernimmt ein
Netz von Radioteleskopen in Europa, Japan und Amerika. Wir planen, welches
Teleskop zu welcher Zeit welches Objekt anpeilen soll und wer die anfallenden
Daten dann auswertet." Das aber auf einige Zeit im Voraus: Bis 2005 sind die
ständig wechselnden Beobachtungsnetze bereits festgelegt.
Grund für den Aufwand: Unsere Erde eiert. Die Tageslänge kann sich binnen 24
Stunden um bis zu eine Millisekunde ändern. In Jahren mit dem Klimaphänomen "El
Niño" dreht sich die Erde merklich langsamer um ihre Achse, wahrscheinlich wegen
der geänderten Verteilung der Luftmassen und der Strömungsverhältnisse in den
Weltmeeren. "Für die Navigation von Flugkörpern im Weltraum benötigt man aber
unter anderem die genaue Drehstellung der Erde, um die Position der Sonde im
Weltraum berechnen und die Steuerdüsen zum richtigen Zeitpunkt auslösen zu
können", erklärt der Privatdozent. Außerdem taumelt die Erde wie ein Kreisel um
seine Rotationsachse. Von einem geostationären Satelliten aus betrachtet,
wandern Straßen, Städte, Flüsse und Berge im Laufe eines halben Jahres um bis zu
15 Meter hin und her. Ohne ständige Korrektur würde daher die GPS-navigierte
Limousine bald nicht mehr auf der Straße fahren, sondern auf dem Acker nebenan.
Wichtigstes Messverfahren der Geodäten ist die so genannte VLBI (Very Long
Baseline Interferometry). Dabei kommen Paare von Radioteleskopen zum
Einsatz, die mehrere tausend Kilometer voneinander entfernt sind. Mit ihnen
peilen die Wissenschaftler starke punktförmige Radioquellen am Rande des
bekannten Universums an, die Quasare. Sie dienen bei der Messung als Fixpunkte.
Weil die Messstationen auf der Erde so weit voneinander entfernt sind, empfangen
sie die Radiosignale mit einem geringen zeitlichen Abstand. "Aus dieser
Differenz kann der Computer beispielsweise die Drehstellung der Erde berechnen,
aber auch den Abstand zwischen den Radioteleskopen - und das bis zu einer
Genauigkeit von zwei Millimetern pro 1.000 Kilometer", erläutert Nothnagel. So
lässt sich mit VLBI auch nachweisen, dass Europa und Nordamerika sich nicht nur
politisch voneinander entfernen: Der Abstand wächst jährlich um fast zwei
Zentimeter.
Ein paar Tage vor einer VLBI-Messung schickt das Bonner Team eine Mail mit den
berechneten Beobachtungszeiten und anzupeilenden Zielen an die beteiligten
Radioteleskope. Durch Atomuhrsignale synchronisiert, richten sich überall auf
der Welt zeitgleich die riesigen schüsselförmigen Antennen aus. Jede Station
peilt in einem 24-Stunden-Messzyklus 200 bis 300 vorher festgelegte Quasare an
und zeichnet auf speziellen Magnetbändern oder -platten die empfangenen Signale
auf. Dabei kommen leicht mehrere Terrabit zusammen - das entspricht pro Station
der Datenmenge auf rund 220 DVDs. Per Kurier gehen die Daten sämtlicher
Stationen dann an einen so genannten "Korrelator", von denen es weltweit nur
drei Exemplare gibt. Das Gerät bestimmt die Laufzeitunterschiede der
Quasarsignale, aus denen dann Koordinaten, die Erdstellung und andere Werte
berechnet werden.
"Diese Berechnungen nehmen wir teilweise auch hier in Bonn vor", erklärt
Nothnagel: Einer der Korrelatoren steht am Bonner Max-Planck-Institut für
Radioastronomie (MPIfR); die Geodäten nutzen ihn im Rahmen einer Vereinbarung
zwischen dem Geodätischen Institut, dem MPIfR und dem Bundesamt für Kartographie
und Geodäsie. "Unter den Einrichtungen, die sich mit VLBI beschäftigen, gehören
wir international zu den fünf größten; als Koordinationsstelle ist unser
Institut weltweit gefragt."
|