|
NOBELPREISE PHYSIK 2002
Neutrinojagd im alten Bergwerk
von
Hans Zekl
für
astronews.com
15. Oktober 2002
Der
Physik-Nobelpreis geht in diesem Jahr an drei Astrophysiker: Je ein
Viertel erhalten der Japaner Masatoshi Koshiba und der Amerikaner Raymond Davis
Jr. für ihre grundlegenden Arbeiten zur Erforschung kosmischer Neutrinos. Die
andere Hälfte des mit 1,1 Millionen Euro dotierten Preises geht an den
amerikanischen Physiker Riccardo Giacconi, der den
Grundstein für die Röntgenastronomie legte. astronews.com stellt die drei
Preisträger und ihre Forschung in einer kleinen Reihe vor. Heute: Raymond Davis Jr.
Raymond Davis Jr.
Foto:
BNL |
Raymond Davis Jr. wurde am 14. Oktober 1914 in Washington, D.C., geboren. Er
studierte an der Universität von Maryland und promovierte 1942 an der Yale
University. Nach seiner Militärzeit während des 2. Weltkrieges und zwei Jahre
bei einer Chemiefirma, kam er 1948 zur chemischen Abteilung im Brookhaven
National Laboratory in Upton im US-Staat New York, wo er fast ein halbes
Jahrhundert lang blieb. 1964 wurde er leitender Chemiker. Obwohl er 1984 in den
Ruhestand ging, blieb er dennoch Mitarbeiter der Forschungsabteilung. Im
folgenden Jahr ging er an die University of Pennsylvania, um seine
Neutrino-Experimente fortzusetzen. 1971-73 war Davis bei der NASA an der
Untersuchung des von Apollo 11 zur Erde gebrachten Mondgesteins beteiligt. Für
seine Arbeiten erhielt Davis zahlreiche Auszeichnungen. Dieses Jahr wurde ihm
die National Medal of Science für 2001 vom amerikanischen Präsidenten
George W. Bush überreicht, die höchste wissenschaftliche Ehrung der USA für
einen Forscher.
"Neutrinos sind faszinierende Teilchen, so klein und so schnell, dass sie
geradewegs durch alles hindurch fliegen können, selbst durch die Erde, ohne
dabei langsamer zu werden," sagt Davis. "Als ich meine Arbeit begann, wollte ich
etwas Neues lernen. Das Interessante an neuen Experimenten ist, dass man nicht
weiß, was dabei heraus kommt." Heute lebt der Vater von fünf Kindern
zurückgezogen mit seiner Frau Anna in dem kleinen Küstenparadies Blue Point auf
Long Island, US Bundesstaat New York.
"für ihre Pionierarbeit in der
Astrophysik, insbesondere durch die Entdeckung von kosmischen Neutrinos "
(aus der Begründung des Nobelpreiskomitees)
Neutrinos sind geisterhafte Teilchen, die beim Beta-Zerfall radioaktiver Atome
und bei der Kernfusion entstehen. Ursprünglich wurden sie 1931 von dem
österreichischen Physiker Wolfgang Pauli theoretisch postuliert, um der Physik
aus einer Krise zu helfen. Beim Beta-Zerfall eines Atomkerns wandelt sich ein
Neutron in ein Proton und ein Elektron um, wobei das Elektron mit hoher
Geschwindigkeit davon fliegt. Erstaunlich war allerdings der Umstand, dass die
Elektronengeschwindigkeiten für ein und dieselbe Atomsorte variabel zu sein
schienen und somit der
Energiesatz verletzt war, nachdem keine Energie verloren gehen kann. Auch schien der
Drehimpulssatz nicht erfüllt zu sein, da sich die Summe der einzelnen
Drehimpulse der Teilchen vor und nach dem Zerfall unterschied. Pauli schlug
deshalb ein weiteres Teilchen vor, das bei dem Prozess entsteht, um die
physikalischen Gesetze zu erfüllen. Er erhielt dafür 1945 den Nobelpreis. Der
italienische Physiker Enrico Fermi taufte dieses Teilchen dann Neutrino, kleines
Neutron.
Es dauerte dann aber noch über 25 Jahre, bis es dem Amerikaner Frederick Reines
zusammen mit Clyde Cowan 1956 gelang die ersten Neutrinos nachzuweisen. Reines
wurde dafür 1995 ebenfalls mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Neutrinos sind
elektrisch neutral und unterliegen nur der schwachen Wechselwirkung, die für den
Zerfall der Atomkerne wichtig ist. Für Neutrinos existiert Materie praktisch
nicht. Die Sonne produziert pro Sekunde über 200 Billiarden Billiarden
Billiarden Neutrinos. Obwohl davon pro Sekunde eine Billion durch unseren Körper
strömen, merken wir davon überhaupt nichts. Selbst durch die Erde oder die Sonne
fliegen sie hindurch, als wären sie nicht vorhanden. Ein Neutrino aus einer
Billion wird auf seinem Flug durch die Erde von einem Atomkern verschluckt.
Diese geringe Wechselwirkungswahrscheinlichkeit macht es so schwierig, sie zu
beobachten.
In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erkannten Forscher, dass ein
Heliumatom eine geringere Masse besitzt, als 4 Wasserstoffatome. Damit konnte
ein weiteres Problem der Physik endlich gelöst werden. Schon im 19. Jahrhundert
wurde heftig darüber diskutiert, woher die Sonne ihre Energie bezieht. Anfang
des 20. Jahrhunderts wurde aus Messungen an radioaktiven Elementen in irdischen
Gesteinen klar, dass die Erde und damit auch die Sonne schon sehr lange
existieren mussten. Keiner der bis dahin bekannten Prozesse war in der Lage,
ausreichende Energie über diesen langen Zeitraum für das Sonnenfeuer zur
Verfügung zu stellen. Der englische Astrophysiker Sir Arthur Eddington erkannte
schließlich, dass die Verschmelzung von vier Wasserstoffatomen zu einem Heliumatom
das Energieproblem lösen könnte, wenn der Massenunterschied zwischen den
Wasserstoffatomen und dem Helium nach Einsteins Formel E=Mc2 in
Energie umgewandelt wird. Dem deutschstämmigen Physiker Hans Albrecht Bethe
gelang es schließlich 1939, die Details der Reaktion zu berechnen. Dabei werden
in einem mehrstufigen Prozess für jedes Heliumatom auch zwei Neutrinos erzeugt.
Bethe erhielt dafür 1967 den Nobelpreis.
Trotz der gewaltigen Messprobleme ging Raymond Davis Jr. in den späten
Fünfzigern des 20. Jahrhundert daran, die Existenz der solaren Neutrinos
nachzuweisen. Während die meisten Kernreaktionen der Sonnen nur Neutrinos
erzeugen, die aufgrund ihrer niedrigen Energie nur sehr schwer nachzuweisen
sind, gibt es eine seltene Reaktion, die ein hochenergetisches Neutrino erzeugt.
Dieses Neutrino kann mit einem Chloratom reagieren und dabei ein Argonatom und
ein Elektron erzeugen. Der Argonkern ist radioaktiv und besitzt eine
Halbwertzeit von 50 Tagen.
Raymond Davis Jr. wählte für den Standort seines Detektors ein altes
Goldbergwerk, die Homestake Mine in Lead, Süddakota, USA. Weil Neutrinos
aber so selten reagieren, muss die Messapparatur vor der viel stärkeren
Umgebungsstrahlung abgeschirmt werden, insbesondere vor der kosmischen
Höhenstrahlung. Deshalb musste der Detektor 1460 Meter tief unter der
Eroberfläche aufgebaut werden. Dafür konstruierte Davis im Jahr 1967 einen
Flüssigkeitstank, der mit 680 Tonnen Perchlorethylen gefüllt war, einer
Flüssigkeit die in chemischen Reinigungen verwendet wurde. Theoretisch sollten
pro Monat 20 Argonatome entstehen. Davies besondere Leistung bestand darin, eine
Methode zu entwickeln, diese 20 (!) Atome auch tatsächlich
nachzuweisen; ein Unterfangen, das viel schwieriger ist, als ein bestimmtes
Sandkorn in der Sahara zu finden. In 30 Jahren konnte er damit Reaktionen mit
2000 solaren Neutrinos nachweisen. Damit hatte er bewiesen, dass die Energie der
Sonne durch die Fusion von Wasserstoff zu Helium entsteht. Aber er fand nur etwa
ein Drittel der erwarteten Atome. Davis konnte beweisen, dass er keine Atome
übersehen hatte. Spätere Experimente wie GALLEX und SAGE kamen zu gleichen
Ergebnissen. Es sah so aus, als wäre die Theorie der Kernfusion in der Sonne
falsch oder einige Neutrinos gingen auf dem Weg zur Erde verloren.
Damit war das solare Neutrinoproblem geboren. Unterschiedlichste Beobachtungen
zeigten übereinstimmend, dass die Temperatur im Zentrum unserer Sonne etwas mehr
als 15 Milliarden Grad betragen muss. Doch die beobachtete Neutrinorate passte
nicht dazu. Sie war zu klein, was auf eine geringere Zentraltemperatur hinwies.
Damit standen die Neutrinodaten von Davis aber im Widerspruch zu allen anderen
Messungen.
Lesen Sie
morgen:
Masatoshi Koshiba, Super-Kamiokande und die Lösung des solaren Neutrino-Problems
|
|
|