Was fällt schneller zu Boden: eine Bleikugel oder eine aus Holz? Mit dieser
Frage - obgleich im Physikunterricht schon längst beantwortet -
beschäftigen sich Experimentalphysiker der Friedrich-Schiller-Universität
in Jena. Mit hochsensiblen supraleitenden
Quanteninterferenz-Detektoren, sogenannten SQUIDS, messen sie am Bremer
Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation die
Fallgeschwindigkeit unterschiedlicher Festkörper.
Den Wissenschaftlern geht es dabei um nicht
weniger als die Überprüfung des Einstein'schen Äquivalenzprinzips, auf
dem unser heutiges physikalisches Weltbild beruht. Das langjährige Jenaer
Forschungsprojekt wird vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt
(DLR) gefördert. Die Jenaer knüpfen mit ihren Untersuchungen an
Experimente von Galileo Galilei an, der schon 1638 bei Experimenten vom
Schiefen Turm von Pisa zu der Erkenntnis kam: alles fällt gleich
schnell.
Aber Dr. Wolfgang Vodel und sein Jenaer Team
sind immer noch skeptisch, obwohl sie bereits nach Geschwindigkeitsunterschieden
in der 14. Stelle hinter dem Komma suchen. Und den Schiefen Turm von Pisa
haben die Wissenschaftler gegen einen Fallturm in Bremen eingetauscht, in
dem sie untersuchen, ob ein Testkörper aus Blei schneller als einer aus dem
erheblich leichteren Aluminium zu Boden rauscht.
Und auch ansonsten hat die Versuchsanordnung wenig mit Galileos Experiment gemein: In der Testkapsel herrscht nämlich 4,7 Sekunden lang
während des freien Falls Weltraumbedingungen: Vakuum
und Schwerelosigkeit. Damit die supraleitende Messinfrastruktur überhaupt
arbeiten kann, wird das Innere der 220 Kilo schweren Fallkapsel mit flüssigem Helium auf
minus 269 Grad Celsius abgekühlt. "Genau genommen werfen wir eine überdimensionierte Thermoskanne den Fallturm
hinunter", so Vodel, "aber kein Instrument könnte mögliche Abstandsveränderungen so genau messen wie unsere SQUIDs."
Wenn beide Körper gleich schnell fallen und die Apparate nicht kaputt sind,
liegt der Messwert immer bei Null, so der Forscher.
109 Meter
saust die Kapsel in die Tiefe und nimmt 150 Stundenkilometer Fahrt auf, um
schließlich mit dem 40fachen der Erdbeschleunigung in einem Styroporbett zu
landen. Die hochsensiblen SQUIDs überstehen die brachiale Prozedur mühelos
und registrieren auch die kleinste Positionsänderung der Blei oder der
Aluminiumprobe.
Und warum der ganze Aufwand? Die Wissenschaftler wollen halt ganz
sicher gehen: Würde sich das Einstein'sche Theorem experimentell
nicht bestätigen lassen, wären Berechnungen über den Aufbau der Atome oder über die Entstehung des Weltalls
zumindest korrekturbedürftig. Doch selbst wenn - was alle hoffen - die
künftige Testreihe am Bremer Fallturm Einstein und Galileo bestätigt,
sind die Jenaer Physiker nicht zufrieden: Dann wollen sie ihr Experiment
im Weltall wiederholen - mit mehren Stunden freien Fall statt der jetzt
möglichen 4,7 Sekunden.