@Lina-Inverse, Teil 1:
Der Seitenhieb auf die DC-X ist unangebracht, nicht nur weil die Grösse wenig zum Problem beiträgt, sondern auch weil das Konzept sehr viel älter ist.
Das war nicht als Seitenhieb gedacht, ich dachte nur, dass du darauf anspielst, als du geschrieben hast, man hätte das schon mal gemacht. Deshalb hatte ich auch geschrieben, dass sich das nicht direkt mit der DC-X vergleichen lässt (z.B. wegen der Grösse).
Die Idee die Erststufe zu recyclen ist also keineswegs neu; neu ist nur die praktische Umsetzung.
Ich hätte auch nie gewagt zu behaupten, die Idee der Wiederverwendung sei neu (nicht zuletzt hat man ja beim Space Shuttle die "nullte" Stufe - die SRBs - zumindest am Anfang "wiederverwendet"). Ich kann mich jetzt zwar nicht erinnern, dass jemand schon mal explizit vorgeschlagen hat, die erste Stufe in der Art und Weise, wie das SpaceX tut, zurückzubringen, aber selbst das ist möglich.
Aber es gab durchaus Leute, die grundsätzlich bezweifelten, dass es SpaceX je gelingen werde, eine Rakete zu landen (siehe z.B. die Seite von Bernd Leitenberger...).
Ob die Startkosten bei SpaceX wirklich signifikant niedriger sind ist schwer zu sagen; sicher die reinen Kosten für die Rakete sehen toll aus - nur geben alle anderen LSP die Startkosten inkl. Nutzlastintegration und Abwicklung an.
Die Basis-Nutzlastintegration ist bei SpaceX soviel ich weiss auch drin - bloss die Kosten für besondere Ansprüche (wie sie etwa die NASA bei der Dragon hat) werden zusätzlich verrechnet.
Die anderen LSPs geben die Preise gar nicht an... Aber eine Atlas-V-Mission kann locker 300 Mio kosten. Die tieferen Kosten sind zweifellos das Hauptargument, warum jemand auf SpaceX setzt.
Und der Preis den SpaceX für die F9 auf der Webseite angibt gilt für den Fall das die Nutzlast so klein ist das sie wieder landen können.
Was dank permanenter Leistungssteigerung nun bei praktisch allen Nutzlasten der Fall ist. Kaum jemand will mehr als 25 Tonnen in den LEO oder mehr als 5 Tonnen in den GTO schicken - und für die gibt es (bald
) die Falcon Heavy.
Davon unberührt sind die Versicherungsprämien die wegen der schwächeren Zuverlässigkeit der F9 höher sein werden.
Die Versicherungsprämien der F9 sind wohl nur knapp höher als jene der Ariane. (Quelle:
http://spacenews.com/space-insurers-warn-that-current-low-rates-are-not-sustainable/)
Den Preisunterschied macht das nicht wett.
Dazu kommt das SpaceX mit seinem Launchmanifest Jahre im Rückstand ist - das kann jeden Startkostenvorteil bei weitem überwiegen. Ein Kommunikationssatelit der 2 Jahre länger auf den Start warten muss ist ausgefallenes Geld.
Auf jeden Fall. SpaceX' tiefe Preise sind auch ein Fluch - sie sorgen dafür, dass das Manifest ständig im Rückstand ist (soviel ich weiss sind das mittlerweile etwa 70 Missionen). Seit mehreren Jahren versucht SpaceX deshalb, die Startkadenz deutlich hochzufahren, um all den enormen Bedarf zu bedienen, das heisst, mindestens einmal im Monat zu starten, wenn nicht mehr. Letztes und dieses Jahr waren sie auf dem guten Weg dazu, doch es kam jedes Mal ein Unfall dazwischen.
Aber ich nehme an, dass die anderen LSPs sehr froh über die ständigen Verzögerungen sind: das allein hält sie noch im Rennen. Aber was meinst du, wie das in ein paar Jahren aussehen wird? SpaceX wird eine gut geschmierte Geldmaschine haben und von insgesamt vier Pads (Vandenberg, Brownsville, Kennedy und Cape Canaveral) aus Nutzlasten starten, während ULA und Arianespace mit neuen Raketen (und ihren zu vermutenden Kinderkrankheiten) nochmal neu anfangen müssen - Raketen notabene, die nicht billiger sind als die F9...
Das die Stufen "dutzende" Male wiederverwendet werden ist ökonomisch eher unwahrscheinlich, SpaceX selbst geht derzeit auch eher von ~10 Mal aus.
Ja, du hast recht. Am Grundsatz meiner Aussage ändert sich nichts: das Ziel der F9 (neben der oben erwähnten Geldmaschine) ist die Demonstration der kommerziellen Wiederverwendbarkeit von Raketenstufen.
Es spielt auch gar keine grosse Rolle ob es 3, 10 oder 50 Mal sind (1/x tendiert eben schon bei kleinen x gegen 0), weil mit steigender Anzahl der Wiederverwendungen sowieso die Inspektions- und Wiederaufarbeitungskosten dominieren - die sind es die die Rechnung entscheiden, und derzeit noch komplett unbekannt.
Inspektionen wird es immer geben, aber das Ziel von SpaceX ist es (gemäss Musk), keine Wiederaufarbeitungs-Kosten mehr zu generieren. Das heisst, eine Rakete landet, und ist nach einer Inspektion grundsätzlich gleich wieder startbereit - so wie bei einem Flugzeug. Man muss sich einfach klar machen, dass das eine ganz andere Maschine ist als jene, die man danach in den Ozean wirft - wie genau diese Maschine aussieht, das versucht SpaceX derzeit herauszufinden - mit den zurückgebrachten Stufen selbst.
Nicht nur die angenommen Anzahl der Wiederverwendungen für sich genommen ist schon fragwürdig. Erstes kostet die Entwicklung bevor die Rakete das Erste mal fliegt. Zweitens bedeuten 1000 Starts selbst bei super-optimistischen Startraten (25 Starts pro Jahr) 40 Jahre Einsatzzeit. Drittens sind 140.000$ pro Passagier verdammt nah an den Treibstoff und Versorgungskosten für sich genommen. Viertens wäre ein Marstransferschiff ungefähr 1-2 Jahre unterwegs (hin+zurück), man brächte dann nur EINE einzige Rakete um bei 25 Starts pro Jahr mehrere Raumschiffe zu bedienen (je nach Anzahl der Tankflüge). Alles im Preis inbegriffen? Was Musk hier angibt sind die projektierten Grenzkosten; keine Zahlen die real erreichbar sind.
Diesen Aussagen kann ich mich durchaus (teilweise) anschliessen. Mir ging es nur darum, dass für die Kosten "pro Passagier" (einverstanden: das sind Grenzkosten) die Rakete nicht vollständig gebaut werden muss, weil sie wiederverwendet wird.
25 Starts pro Jahr sind für das Mars-Programm viel zu wenig! Ein einziger Marsflug wird (je nach Fenster und geplanter Transferzeit) zwischen drei und fünf Starts (Raumschiff + Tankflüge) innerhalb kurzer Zeit benötigen. Und um 1 Mio Menschen in 40 Jahren (20 "Fenster") zum Mars zu bringen, muss man im Schnitt 50'000 Menschen pro Fenster befördern. Selbst wenn es 200 Passagiere pro Raumschiff sind, sind wir immer noch bei 250 Flügen pro Fenster - also zwischen 750 und 1250 Starts des Boosters.
Mir ist schon klar, dass das für heutige Verhältnisse abwegige Zahlen sind. Aber Musk denkt in anderen Dimensionen. Versuch mal jemandem von 1930 zu erklären, dass ein Flughafen wie Heathrow heute 75 Millionen Passagiere pro Jahr abfertigt... Ich denke, der einzige Gedanke über die Zukunft, von dem wir uns verabschieden müssen, ist die Vorstellung, dass alles immer exakt gleich bleibt wie heute. Das heisst nicht, dass Musk's Vision Wirklichkeit werden muss - aber es heisst, dass man Dinge, die physikalisch nicht unmöglich sind, nicht ausschliessen sollte. So lange genügend Menschen existieren mit dem Willen und der Fähigkeit, eine solche Zukunft herbeizuführen, kann es so kommen.
Das Marstransfer-Raumschiff wäre wohl nicht 1-2 Jahre unterwegs wie die minimal-Energie-Missionen, die die NASA immer geplant hat. Musk hat immer klargemacht, dass es schnell zurückkommen soll. Der Hinflug soll 3 Monate dauern (dank dem zugeladenen Treibstoff realistisch), der Aufenthalt auf dem Mars ein paar Wochen, Rückflug etwas länger. Das Raumschiff wird wohl insgesamt weniger als ein Jahr unterwegs sein.
Werden die anderen Raketen etwa alle nicht von Firmen gebaut?
Die anderen Raketen wurden von Firmen mit im Prinzip unbegrenzten Budgets (quasi eine Staatsgarantie) entwickelt, etwa weil der Staat die Raketen für Atomsprengköpfe, für den unabhängigen Zugang in den Weltraum oder für ein politisches Weltraumprogramm (Mondlandung) brauchte. SpaceX's Budgets waren stets durch Musk's Taschen (und dem Umstand dass er knapp die andere Hälfte seines Vermögens in Tesla investiert hat) begrenzt. Erst nachdem sie ihren ersten Kunden (die NASA) hatten, wurde es besser. Aber auch dieser Kunde bezahlt nur einen vorher vereinbarten Preis.
Orbital (heute Orbital ATK) hat auch eine privat (also zu einem Fixpreis) entwickelte Kapsel zur ISS gesandt. Sie waren später dran als SpaceX, sind aber auch später gestartet (weil die NASA erst auf Kistler setzte). Die Cygnus übersteht aber keinen Wiedereintritt in die Atmosphäre (was durchaus gewünscht ist, zwecks "Abfallentsorgung").
Und das mit der "orbitalen" Stufe ist auch sehr geschicktes Verkaufen - bei der Stufentrennung ist die F9 noch meilenweit von orbitaler Geschwindigkeit entfernt; es spielt genau gar keine Rolle für die Landung wie schnell die Oberstufe da später noch wird.
Mit "orbital" ist gemeint, dass die Rakete eine echte Nutzlast in die Umlaufbahn bringt (ich habe explizit nicht "orbitale Stufe" sondern "orbitale Rakete" geschrieben). Das ist ein Fakt und kein Marketing. Die meisten Leute glauben immer noch ernsthaft, um in den Weltraum zu kommen, muss man ganz weit nach oben fliegen und da schwebt man dann weil die Erde soweit weg ist.
Vergleich doch mal einfach Fakten (Starts, Fehlschläge/Erfolge mit anderen LSP). Wie, nur hinteres Mittelfeld?
Bei gleich vielen Starts standen SpaceX und Arianespace gleich gut da... SpaceX ist immer noch ein relativ neuer Anbieter mit wenigen Starts. Der Leistungsausweis von ULA ist in der Tat beeindruckend, genauso wie die Kosten dafür und der enorme Widerstand gegenüber jeglicher echter Innovation.