Urknall und Zeitentstehung

ockham

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Ein Autor schreibt in seinem Buch:

Unser Raum und unsere Zeit begannen tatsächlich mit dem Urknall, aber der war nur der bislang letzte in einer langen Reihe von Urknallen, die jeweils nach dem Ende des vorherigen Universums durch einen `Big Crunch` in Gang gesetzt wurden. Dass dabei "Raum und Zeit" jeweils stets schon vorausgesetzt sind und zugleich doch wiederum daraus erst "entstanden" sein sollen, ist dabei nicht weiter störend: Dann wäre also die Zeit selbst "innerhalb" der Zeit entstanden", und solches reales "Entstehen" gehörte also selbst schon zur "Schöpfungs"-Wirklichkeit, die dadurch aber doch erst "entstehen" soll?…

Das, was ein "Nacheinander" erst ermöglicht (das ist Zeit), kann nicht selbst Resultat dieses "Nacheinanders" sein…

Erste Frage: Stimmt diese Logik?

Weiter schreibt er:

Schon Platon und Aristoteles wussten jedenfalls auch darum, dass der gängigen Redensart zum Trotz, natürlich "die Zeit nicht vergeht" und eben auch nicht "entsteht" - weil "Zeit" als Bedingung von allem Entstehen und Vergehen nicht selbst wieder entstehen und vergehen kann. Deshalb kann man sich "Zeit" nicht vorstellen, denn als "Vorgestelltes" ist es selbst immer schon ein Gegen-Stand in der Zeit.

Zweite Frage: Ist dies auch richtig oder vielleicht mittlerweile überholt?
 

TomS

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Ein Autor schreibt ...
welcher?

... aber der war nur der bislang letzte in einer langen Reihe von Urknallen, die jeweils nach dem Ende des vorherigen Universums durch einen `Big Crunch` in Gang gesetzt wurden.
erklärt der Autor, wie er zu dieser Meinung kommt? zwar gibt es mathematische Modelle für einen Big Crunch, allerdings weist unser Univesum Eigenschaften auf, die auf eine Ausdehung bis in unendlich ferne Zukunft schließen lassen; also kein Big Crunch

Dass dabei "Raum und Zeit" jeweils stets schon vorausgesetzt sind und zugleich doch wiederum daraus erst "entstanden" sein sollen, ist dabei nicht weiter störend: Dann wäre also die Zeit selbst "innerhalb" der Zeit entstanden", und solches reales "Entstehen" gehörte also selbst schon zur "Schöpfungs"-Wirklichkeit, die dadurch aber doch erst "entstehen" soll?…
doch, das ist sehr störend; der Big Crunch ist ein Moment, zu dem die mathematischen Gleichungen ihren Sinn verlieren; wir verstehen heute noch nicht, wie Raum und Zeit aus einer Singularität entstehen, geschweige denn, wie sie nach einem Big Crunch neu entstehen

Schon Platon und Aristoteles wussten jedenfalls auch darum, dass der gängigen Redensart zum Trotz, natürlich "die Zeit nicht vergeht" und eben auch nicht "entsteht" - weil "Zeit" als Bedingung von allem Entstehen und Vergehen nicht selbst wieder entstehen und vergehen kann. Deshalb kann man sich "Zeit" nicht vorstellen, denn als "Vorgestelltes" ist es selbst immer schon ein Gegen-Stand in der Zeit.
Platon und Aristoteles sind wahrscheinlich die einflussreichsten Philosophen des Abendlandes, und viele philosophische Strömungen sind nur Kommentare und Diskussionen ihrer Ideen; aber im Bereich der Naturphilosophie sind ihre Ansätze überholt bzw. ihren rein philosophische Methode wurde durch die Physik ersetzt.
 

ockham

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Der Autor ist gläubig, er zitiert Richard Dawkins. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass Dawkins das so geschrieben haben soll (ohne einen Hinweis auf eine Theorie).

So wie ich das verstehe, wurde die Entstehung unseres Universums durch einen Big Crunch des vorhergehenden Universums erzeugt, was wahrscheinlich mit der Multiversentheorie zu tun haben muss?

Also sehe ich das so richtig, dass dann jedes Vorhaben, Zeitentstehung zu verstehen, scheitern muss?
 

Bernhard

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Platon und Aristoteles sind wahrscheinlich die einflussreichsten Philosophen des Abendlandes
mMn eine ziemlich gewagte These. Generell hat das Abendland die Antike doch weitgehend überwunden, so dass deren Aussagen im 20. Jahrhundert und bis heute nur noch ein gewisse historische Randnotiz bilden.
 

ralfkannenberg

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Platon und Aristoteles sind wahrscheinlich die einflussreichsten Philosophen des Abendlandes
mMn eine ziemlich gewagte These. Generell hat das Abendland die Antike doch weitgehend überwunden, so dass deren Aussagen im 20. Jahrhundert und bis heute nur noch ein gewisse historische Randnotiz bilden.
Hallo Bernhard,

beachte bitte in Deiner Einschätzung, dass es Aristoteles war, der gleich 4 Gründe angab, warum die Erde Kugelgestalt haben sollte:

1. Sämtliche schweren Körper streben zum Mittelpunkt des Alls. Da sie dies von allen Seiten her gleichmäßig tun und die Erde im Mittelpunkt des Alls steht, muss sie eine kugelrunde Gestalt annehmen.

2. Bei von der Küste wegfahrenden Schiffen wird der Rumpf vor den Segeln der Sicht verborgen.

3. In südlichen Ländern erscheinen südliche Sternbilder höher über dem Horizont.

4. Der Erdschatten bei einer Mondfinsternis ist stets rund.


Das sind nüchtern betrachtet sehr moderne Gedanken, die er auch strukturiert ausführt. Dem gleichen Link folgend ging übrigens auch Platon schon von der Kugelgestalt der Erde aus, was mich persönlich überhaupt nicht überrascht. Zudem ist sein Schüler vermutlich auch deswegen so gut, weil ihm sein Lehrer die richtigen Methoden mit auf den Weg gegeben hat.


Freundliche Grüsse, Ralf
 
Zuletzt bearbeitet:

Bernhard

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Das sind nüchtern betrachtet sehr moderne Gedanken
Hallo Ralf,

angeblich waren diese Binsenweisheiten entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil auch während des Mittelalters bekannt. Hervorheben will ich vielmehr die Kluft zwischen der Antike und der Moderne. Bei Fragen zum Urknall Aristoteles und Plato anzuführen gleicht da mMn schon einem ziemlich brutalen Rundumschlag und die sind bekanntlich doch nur dazu gut, um das eigene Nichtwissen geschickt zu verschleiern (ich weiß das aus eigenster Erfahrung).

Warum sagt man Ockham nicht einfach, dass auch die moderne Physik nur unzureichende Antworten auf den Urknall selbst hat? Alles andere wäre ja auch etwas eigenartig. Schließlich kenne ich keinen Physiker, der schon selbst nachweislich ein neues Universum erschaffen hätte.
 

mac

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Hallo Bernhard,

Warum sagt man Ockham nicht einfach, dass auch die moderne Physik nur unzureichende Antworten auf den Urknall selbst hat?
Wenn ich Tom's Antwort richtig verstehe, dann hat er genau das schon gesagt.
wir verstehen heute noch nicht, wie Raum und Zeit aus einer Singularität entstehen, geschweige denn, wie sie nach einem Big Crunch neu entstehen
Herzliche Grüße

MAC
 

ralfkannenberg

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angeblich waren diese Binsenweisheiten entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil auch während des Mittelalters bekannt.
Hallo Bernhard,

von Binsenwahrheiten würde ich in diesem Zusammenhang nicht sprechen wollen, auch wenn das aus heutiger Sicht natürlich Binsenwahrheiten sind. In einem Umfeld, in dem jeder von einer scheibenförmigen Erde ausging und ein Gelehrter um sein Leben fürchten musste, als er die Idee kommuniziert hat, die Sonne könnte grösser als Griechenland sein, sind diese Binsenwahrheiten indes alles andere als selbstverständlich.


Hervorheben will ich vielmehr die Kluft zwischen der Antike und der Moderne.
Ich möchte viel lieber von einem kontinuierlichen Übergang sprechen, natürlich nicht im mathematischen Sinne, aber im übertragenen Sinne.


Bei Fragen zum Urknall Aristoteles und Plato anzuführen gleicht da mMn schon einem ziemlich brutalen Rundumschlag und die sind bekanntlich doch nur dazu gut, um das eigene Nichtwissen geschickt zu verschleiern (ich weiß das aus eigenster Erfahrung).
Da hast Du natürlich recht: es ist ein Unding, auf Gelehrte referenzieren zu wollen, denen nicht die Möglichkeiten der modernen Zeit zur Verfügung standen. Im historischen Kontext hatten diese Gelehrten und zahlreiche weitere grosse Leistungen vollbracht, auf denen die Arbeiten künftiger Gelehrter dann aufgebaut hat, aber heutzutage auf sie referenzieren zu wollen zeigt natürlich nur, dass derjenige, der auf sie referenziert, gar nicht verstanden hat, um was es überhaupt geht, und auch mit dem Kontext nicht vertraut ist.


Freundliche Grüsse, Ralf
 

Bernhard

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Ich möchte viel lieber von einem kontinuierlichen Übergang sprechen, natürlich nicht im mathematischen Sinne, aber im übertragenen Sinne.
Das ist sehr schön formuliert.

Mir fällt dazu gleich wieder eine Episode aus der alten Raumschiff Enterprise Serie ein und zwar "Der Tempel des Apoll". Das spöttische Gelächter von Scotty über das übertriebene Gehabe des alten Apoll erzeugt bei mir immer noch ein gewisses Unbehagen, aber was ist besser, bzw. schlimmer: verfälschende Romantisierung oder Spott? Beides hat verwerfliche Aspekte, aber mit letzterem kann man zumindest die Fehler von Ersterem aufzeigen, wie eben bei dieser Episode gezeigt.
 

TomS

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Generell hat das Abendland die Antike doch weitgehend überwunden, so dass deren Aussagen im 20. Jahrhundert und bis heute nur noch ein gewisse historische Randnotiz bilden.
Ansichtssache.

Die Ideen der Auklärung haben ihren Kern bei Sokrates (die einzigen schriftlichen Aufzeichnungen stammen nicht von ihm selbst sondern von seinen Schüler Platon). Der Idealismus des 19. Jh. geht auf Platon zurück; Wissenschaftler wie Penrose sehen sich selbst als Platonisten ...

"Die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas lautet, daß sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht." - Alfred North Whitehead
 

Sky Darmos

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Die Ideen der Auklärung haben ihren Kern bei Sokrates (die einzigen schriftlichen Aufzeichnungen stammen nicht von ihm selbst sondern von seinen Schüler Platon). Der Idealismus des 19. Jh. geht auf Platon zurück; Wissenschaftler wie Penrose sehen sich selbst als Platonisten ...

Sehr richtig. Platon war auch der erste der Fortschritte bei der Lösung des Geist-Körper-Problems erzielt hat. Er war der erste der Geist als etwas immaterielles verstanden hat und der ideellen Körpern reale Existenz zugesprochen hat.
Und Demokrit zum Beispiel hatte die Vorstellung von Atomen entwickelt. An sich alles ganz hervorragende Leistungen.
Die Philosophen Leibnitz und Kant haben auch viel zur Philosophie des Bewusstseins beigetragen. Obschon ihre Vorstellungen falsch waren, haben sie doch wichtige Beiträge geleistet in der Darstellung wichtiger Aspekte des Problems.

Zum Thema des Threads: Das Konzept einer verstreichenden Zeit findet nur im Messprozess der Quantenmechanik Eingang. Und das natürlich auch nur wenn man die Kopenhagener Interpretation akzeptiert. Viele Physiker würden die Existenz einer echten (nichtstatischen) Zeit leugnen.
 
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