Die Gezeiten-Venus

Bynaus

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@mac: Versteh mich nicht falsch, das sollte kein persönlich gemeinter Vorwurf sein - ich wollte bloss sagen, dass der Wärmefluss nicht allein aus der Abbremsung der Rotation kommen muss (wie ich selbst zuerst angenommen hatte).

Was die Sache mit den 100°C angeht, musst du vorsichtig sein. Auf der Seite, die du verlinkt hast, steht:

planet-wissen.de schrieb:
4,2 Milliarden Jahre vor unserer Zeit hat sich die Erdoberfläche auf weniger als 100 Grad Celsius abgekühlt.

Das heisst nichts anderes, als dass es vor 4.2 Milliarden Jahren indirekte Spuren von flüssigem Wasser in Gesteinen gab (ich glaube mich zu erinnern, dass es sogar neuere Arbeiten gibt, in denen dieses Datum weiter zurück in die Vergangenheit geschoben wurde - zum Beispiel hier oder hier). Aber das heisst nicht, dass die Erde vor, sagen wir, 4.3 Milliarden Jahren kein flüssiges Wasser gehabt haben kann bzw. dass die Temperaturen damals über 100°C gelegen haben müssen. Tatsächlich hat ja bereits Lord Kelvin ausgerechnet, dass es von einer glutflüssigen Oberfläche bis zu festem Gestein nur gerade ein paar 10000 Jahre sind (das Altersparadoxon der frühen Geologie) - gemessen daran sind 300 Mio Jahre eine Ewigkeit. Die Erde hatte wohl schon sehr früh einigermassen angenehme Temperaturen, und man hat heute eher Probleme damit, zu erklären, warum die junge Erde eigentlich so warm war, und nicht so kalt, wie die tiefere Sonnenleuchtkraft jener Zeit nahelegen würde (Faint Young Sun Paradox).

Wenn nun der Planet aber um eine masseärmere Sonne (in deren HZ) kreist, dann kommt neben der Eintragsleistung des Sonnenlichts auch die Leistung der Gezeitenreibung dazu (z.B. aus einem exzentrischen Orbit und/oder aus der Abbremsung der Rotation). Diese zusätzliche Wärme könnte gross genug sein, um die Bildung von Ozeanen auf dem sonst lebensfreundlichen Planeten zu verhindern, womit das Wasser in der Atmosphäre bleibt und über die darauf folgenden Jahrmillionen vom UV-Licht des Sterns gespalten wird.

Natürlich ist das nicht "mein" Szenario, aber ich finde es durchaus attraktiv, um ansatzweise zu erklären, warum kleine Sterne keine/seltener bewohnbare Planeten haben könnten.
 
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mac

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Hallo Bynaus,

@mac: Versteh mich nicht falsch, das sollte kein persönlich gemeinter Vorwurf sein
das hatte ich auch nicht so aufgefaßt. :)

Meine Aussage zu dem was da sein kann und was nicht, war ja auch nur ein ‚Abfallprodukt‘ der eigentlichen Arbeit damit.

Motiv für meinen ersten Post hier war einfach eine Plausibilitätsbetrachtung zu diesem Szenario und den von Dir geschriebenen 300 W. Die Rotationsenergie der Erde wollte ich dagegen sowieso schon immer mal ausrechnen, hatte aber bis vor kurzem keine Basis für den Verlauf der Dichteverteilung in der Erde. Und in 10 Minuten hab‘ ich das am Freitag auch nicht geschafft (das Digitalisieren der Kurve hat etwas gedauert), so daß die ganze nachfolgende Diskussion zunächst mal an mir vorbei ging.

Und Denkfehler macht man schnell, wenn man nicht alle Informationen (hier besonders zum tatsächlichen zeitlichen Ablauf solcher Vorgänge) hat. Hab‘ ich den zweiten Link richtig verstanden: 250 Millionen Jahre (statt 300 Millionen) bis zum ersten Kontakt von flüssigem Wasser und Gestein?

Ist das überhaupt ein Maßstab für die Oberflächentemperatur? Regnen könnte es doch auch bei höherer Oberflächentemperatur und flüssiges Wasser gibt es, je nach ‚Luft’Druck auch bei mehr als 100°C. Was ich bisher auch nicht verstanden habe, wie die Erdatmosphäre überhaupt erst mal aus den Bedingungen für ein Umkippen hin zu Venus-Verhälnissen heraus kommen konnte. Sie müßte, zumindest was den Wasserdampfgehalt betrifft, doch extrem viel dichter gewesen sein als heute, selbst dann, wenn zu der Zeit noch lange nicht so viel Wasser da war wie heute. Welche Veränderungen sorgen dafür, daß sie, selbst bei viel niedrigeren Temperaturen, derart kippen kann, wie man es anscheinend vermutet?

Ich will mal sehen, ob ich für die Abbremsung der Rotation durch Gezeitenreibung nicht doch zumindest mal eine ganz grobe Näherung (über die Extrapolation irdischer Verhältnisse) erstellen kann. Wenn ich so weit bin, stell ich die Rechnung auch hier zur Diskussion ein.

Herzliche Grüße

MAC
 

Bynaus

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Hab‘ ich den zweiten Link richtig verstanden: 250 Millionen Jahre (statt 300 Millionen) bis zum ersten Kontakt von flüssigem Wasser und Gestein?

Nun, 250 Mio Jahre nach der Entstehung gab es flüssiges Wasser. Das muss im Umkehrschluss nicht heissen, dass es zuvor kein flüssiges Wasser gab! Das frühe Archaikum ist ein ausserordentlich hartes Pflaster für Geologie, weil wir fast keine Proben aus jener Zeit haben (das mag sich mal ändern, wenn wir auf dem Mond Erdmeteoriten aufsammeln, aber das ist eine andere Sache :) ).

Der zweite Link sagt bloss, dass die Quelle für das Magma, aus denen die Zirkone kondensierten, keine primitive Mantelschmelze gewesen sein kann, sondern dass in dieser Quelle auch Material zu finden war, wie es in stark verwitterten Böden (die ihrerseits aus kontinentalem Krustengestein gebildet wurden) vorkommt. Das kann man als Hinweis deuten, dass es vor 4.3 Mrd Jahren bereits einen Verwitterungszyklus, Böden und Kontinente gab - entsprechend muss die Erde bereits ziemlich ähnlich wie heute ausgesehen haben.

Was ich bisher auch nicht verstanden habe, wie die Erdatmosphäre überhaupt erst mal aus den Bedingungen für ein Umkippen hin zu Venus-Verhälnissen heraus kommen konnte. Sie müßte, zumindest was den Wasserdampfgehalt betrifft, doch extrem viel dichter gewesen sein als heute, selbst dann, wenn zu der Zeit noch lange nicht so viel Wasser da war wie heute. Welche Veränderungen sorgen dafür, daß sie, selbst bei viel niedrigeren Temperaturen, derart kippen kann, wie man es anscheinend vermutet?

Die Erdatmosphäre war wohl (ausser für äusserst kurze Zeit (~eine Kelvin-Abkühlungszeit) ganz am Anfang und für kurze Zeit nach sehr grossen Einschlägen) nie wirklich im Wasserdampf-Treibhaus-Zustand (dieser Zustand selbst ist übrigens nicht so simpel, wie es scheint - ich hatte hier mal eine Arbeit dazu verlinkt, die ich jetzt gerade nicht mehr finde). Dafür war die Sonneneinstrahlung (ca. 70% des heutigen Wertes) vermutlich einfach zu gering. Siehe z.B. http://adsabs.harvard.edu/abs/1989Icar...77...59D

Das ist die klassische Antwort auf diese Frage. In Wahrheit gibt es aber viele ungeklärte Fragen, wie z.B. auch diese zwei interessanten Alternativen zur Entwicklung der Venus (bzw. zum Unterschied zwischen Erde und Venus) zeigen:
http://adsabs.harvard.edu/abs/2009E&PSL.286..503G
http://adsabs.harvard.edu/abs/2010AGUFM.P14A..01Z
 

Franz_F

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Mir ist dabei nicht wirklich klar, ob es bei so kleinen Sternen (0,3 SM) überhaupt zur Aufspaltung von Wasserdampf kommen kann.
Der UVAnteil von so kleinen roten Zwergen ist doch sicher eher klein, die haben ihr Strahlungsmaximum ja tief im roten Bereich, oder?
 

Bynaus

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Der UVAnteil von so kleinen roten Zwergen ist doch sicher eher klein, die haben ihr Strahlungsmaximum ja tief im roten Bereich, oder?

Dafür haben sie heftige und häufige Flares, die auch im UV-Bereich strahlen (allerdings steckt die meiste Energie im Röntgen-Bereich). Deren Leuchtkraft ist oft vergleichbar mit der Leuchtkraft im sichtbaren Bereich...
 
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